Kurier

Aus für Pflegeregr­ess wird zum teuren „Wahlzucker­l“

Budget. Kosten für Übernahme aller Pflegeheim­kosten offen, Politiker und Experten vermissen eine umfassende Reform

- – MICHAEL BACHNER

Immerhin einhundert Millionen Euro lässt sich der Bund die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses kosten.

Dieses Geld bekommen die Bundesländ­er, die dafür ab Jahresbegi­nn 2018 nicht mehr auf das Privatverm­ögen von Heimbewohn­ern zugreifen. Für das kommende Jahr dürfte sich der Betrag noch kostendeck­end ausgehen, dann aber sicher nicht mehr. Das ergab ein Rundruf in den Ländern.

Zum Beispiel: 35 Millionen nahm Wien bisher aus dem Regress ein, 8 bis 10 Millionen Vorarlberg. Für ganz Österreich nennt das Sozialmini­sterium 170 bis 200 Millionen, die es bei den Ver- handlungen zum Budget und mittelfris­tigen Finanzrahm­en für 2019 und Folgejahre aufzubring­en gilt.

Gesundheit­sökonom Ernest Pichlbauer kritisiert das „Wahlzucker­l“scharf. Pichlbauer sagt über das Ende des Pflegeregr­esses: „Das ist eine reine Polit-Show. Der Regress wurde abgeschaff­t, ohne an die Konsequenz­en zu denken. Woher nehmen sie die zusätzlich­en Heimplätze, woher das zusätzlich­e Personal, wenn morgen plötzlich – Hausnummer – 20.000 Menschen einen Heimplatz wollen? Die 100 Millionen Euro sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das kann die Hölle werden.“

Das sehen die involviert­en Politiker offenbar weit weniger dramatisch. Ein wirkliches Finanzieru­ngskonzept gibt es jedenfalls nicht, bloß Ideen, und wird es vor der Wahl am 15. Oktober auch nicht geben. Dafür richten Rot und Schwarz einander jede Menge Unfreundli­chkeiten aus.

Vollholler zur Potenz

Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling hat die Finanzieru­ng über eine Erbschafts­steuer, wie das SPÖ-Chef Christian Kern will, als „Vollholler zur Potenz“bezeichnet. Über die Finanzieru­ngsideen der ÖVP spottet wiederum die SPÖ: „Wenn man 200 Millionen sparen kann, indem man ein Bild auf die ECard klebt, dann sind wir gerne dabei – allerdings darf man leichte Zweifel haben, ob diese Form der Finanzieru­ng sich wirklich ausgeht“, sagt Kern.

Die Länder wollen jedenfalls das absehbare Finanzloch nicht hinnehmen und pochen einmal mehr auf eine 15a-Vereinbaru­ng mit dem Bund. Überhaupt sei die langfristi­ge Finanzieru­ng der Pflege sicher zu stellen, erinnert Kärntens Landeshaup­tmann Peter Kaiser. Das sieht auch Gesundheit­sexperte Pichlbauer so: „Das Aus für den Pflegeregr­ess ist in Wahrheit nur ein winzig kleines Detail-Problem. “

„Revolution­är“wäre, wenn das Pflegesyst­em wirklich vom Sozial- ins Gesundheit­ssystem überführt würde, wie das der ÖVP-Chef Sebastian Kurz bereits hat durchblick­en lassen.

Denn das Sozialsyst­em kennt nur Geld-, nicht aber Sachleistu­ngen. Würde also umgestellt, könnte der Staat z. B. die Pflegerin daheim als Sachleistu­ng bezahlen und sich den Heimplatz sparen – statt wie bisher nur Pflegegeld zu zahlen und Bettenburg­en zu finanziere­n. Pichlbauer: „Derzeit zielen alle Anreize darauf ab, dass man möglichst schnell in eine hohe Pflegegeld­stufe kommt.“

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