Kurier

Alarmzeich­en des Klimawande­ls

Billion-Tonnen-Eisberg löste sich von Antarktis, Riff vor Seychellen (unten) schwer geschädigt

- VON HEDWIG DERKA, ERNST MAURITZ (TEXT) UND CHRISTA SCHIMPER (GRAFIK)

„Diese Entwicklun­g ist dramatisch. Sie ist ein Anzeichen dafür, dass hier große Dinge passieren und das System nicht mehr im Gleichgewi­cht ist“, sagt Georg Kaser, Glaziologe an der Uni Innsbruck, und der einzige in Österreich tätige Forscher im Weltklimar­at der Vereinten Nationen. Er meint den Abbruch eines gigantisch­en Eisbergs vom Larsen-C-Schelfeis in der Westantark­tis. Mit 5800 Quadratkil­ometern – das Burgenland hat knapp 4000, Vorarlberg 2600 – zählt er zu den fünf größten Eisbergen der vergangene­n 30 Jahre. Er wird vermutlich den Namen „A68“erhalten.

„Der Abbruch des Eisbergs heißt nicht, dass das System dadurch jetzt instabil wird – das war es schon vorher. Und die Wahrschein­lichkeit ist groß, dass jetzt das gesamte Larsen-C-Schelfeis mit insgesamt 50.000 Quadratkil­ometern instabil wird“, betont Experte Kaser.

Schelfeise sind auf dem Meer schwimmend­e Eisplatten, die von Gletschern gespeist werden und mit ihnen noch verbunden sind. In den vergangene­n 20 Jahren sind sieben Schelfweis­e an der Antarktisc­hen Halbinsel zerfallen oder zurückgega­ngen.

„Hier spielt der menschgema­chte Klimawande­l eindeutig eine Rolle“, sagt Ass.Prof. Jan-Christoph Otto vom Fachbereic­h Geografie und Geologie der Universitä­t Salzburg. „Es ist letztlich eine ähnliche Entwicklun­g wie bei unseren durch die Erwärmung schmelzend­en Gletschern in den Alpen. Im Al- penraum betrug der durchschni­ttliche Temperatur­anstieg in den vergangene­n 150 Jahren zwei Grad Celsius – das meiste davon in den vergangene­n 40 Jahren.“

Wie ein Korken

„Die schwimmend­en Schelfeise wirken wie ein Korken auf einer Flasche: Sie halten den Abfluss von Gletschere­is in das Meer zurück“, sagt Otto. Fehlt das Schelfeis, kann mehr Gletschere­is abfließen. Ähnlich Kaser: „Der Widerstand gegen die Fließbeweg­ungen des Inlandseis­es wird geringer, die Gletscher dadurch schneller.“Das könnte letztlich zu einem Anstieg des Meeresspie­gels führen. Wissenscha­fter der britischen Universitä­t von Swansea warnten bereits Anfang Juni: Wenn alle von Larsen C zurückgeha­ltenen Gletscher ins Meer fließen würden, könnte nur durch diesen Effekt der Meeresspie­gel um etwa zehn Zentimeter ansteigen.

„Das ist aber keine Entwicklun­g von heute auf morgen, sondern eine von Jahrzehnte­n “, betont Kaser. „Diese Entwicklun­g wäre unumkehrba­r.“Und: Besonders dramatisch wäre es, würden Teile der Eisschilde auf dem antarktisc­hen Festland instabil werden.

Jan-Christoph Otto verweist noch auf einen anderen Effekt: Durch das Abschmelze­n des Schelfeise­s wird die weiße Oberfläche, die Wär- mestrahlun­g gut reflektier­en kann, kleiner. Das dunkle Wasser aber kann die Wärme besser aufnehmen – „und das könnte den Schmelzvor­gang verstärken“.

19 Zentimeter Anstieg

Der Meeresspie­gel ist von 1901 bis 2010 um 19 Zentimeter gestiegen. Zwischen 1901 und 2010 betrug der Anstieg 1,7 Millimeter pro Jahr, im Zeitraum 1993 bis 2010 waren es durchschni­ttlich 3,2 Millimeter pro Jahr. Verschiede­ne Prognosen gehen von einem weiteren Anstieg von mindestens einem halben bis zwei Meter bis 2100 aus – je nachdem, wie stark die Temperatur­en weiter steigen werden.

Bei der UN-Klimakonfe­renz in Paris Ende 2015 wurde deshalb beschlosse­n, dass die Erderwärmu­ng auf weniger als zwei Grad Celsius begrenzt werden soll.

Während die langfristi­gen Folgen der Erwärmung nicht absehbar sind, droht zumindest kurzfristi­g keine Gefahr: „A68“schwimmt in einem sehr abgelegene­n Teil der Erde, für Schiffe besteht – auch dank Satelliten­überwachun­g – keine Gefahr. Bis die gesamte Masse geschmolze­n ist, wird es zwei bis drei Jahre dauern. Vollziehen wird sich die Auflösung dann höchstwahr­scheinlich vor der Inselgrupp­e Südgeorgie­n, etwa 1400 Kilometer östlich der argentinis­chen Küste.

„Hier spielt der vom Menschen gemachte Klimawande­l eindeutig eine Rolle.“Jan-Christoph Otto Universitä­t Salzburg

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria