„Sterben die Korallen, verarmt das ganze System“
Klimawandel II. Riffe sind ein Hotspot des Lebens – noch: Die Korallenbleiche geht weiter
„Menschen, die nicht an den Klimawandel glauben, sollten vielleicht auf die Seychellen kommen.“Lisa Laporte Booyse, die ein Gästehaus im vermeintlichen Paradies im Indischen Ozean betreibt, kann ihren Besuchern Fotos von früher zeigen – von vor 1998, als die grausame Hitze von El Niño die Seychellen noch nicht so hart getroffen hatte. Damals stiegen die Meerestemperaturen und bleichten 90 Prozent der Korallenriffe im Archipel. Der letzte El Niño im Jahr 2016 war ähnlich schrecklich – die Korallenabdeckung auf den Riffen sank von 50 Prozent auf fünf, berichten lokale Forscher.
Ein weltweites Phänomen: Die meisten großen Korallenriffe rund um die Welt sind nach Einschätzung von Wissenschaftlern bereits auf Dauer beschädigt. „Die Riffe werden nie wieder in den Zustand gebracht werden können, in dem sie früher einmal waren“, schrieb der australische Korallenforscher Terry Hughes vor einem Monat im Fachmagazin Nature.
Am Great Barrier Reef in Australien hat die Korallenbleiche bereits ein beispielloses Ausmaß erreicht. 93 Prozent der Korallenbänke sind betroffen. Meeresbiologe Hughes: „Wir sehen jetzt mehr als 100 Jahre alte Korallen absterben.“Die Nesseltiere überleben nur, solange Algen sie mit Zucker versorgen. Diese Einzeller – verteilt über das ganze Kalkskelett der Korallen – lassen die Riffe in leuchtenden Farben erstrahlen.
Wärme ist Stress
Diese Partnerschaft hat über Jahrmillionen bestens funktioniert und den Erfolg der Korallen begründet. Gleichzeitig ist sie aber auch zur Achillesferse der Korallen geworden, denn die meisten der tropischen Korallenarten können sich nicht mehr alleine vom Planktonfang ernähren und sind auf ihre pflanzlichen Untermieter angewiesen. Trotzdem stoßen sie unter bestimmten Stressbedingungen, vor allem zu hohe Wassertemperatur, ihre Algen ab: Wird es in den Ozeanen zu warm, produzieren die Algen Gift, die Gemeinschaft zerbricht. Die Korallen bleichen aus und verhungern.
Dieses Phänomen haben Forscher seit den 1970ern immer wieder beobachtet. 2016 war die Situation – verstärkt durch das Wetterphänomen El Niño – besonders drastisch. Damals war das Wasser im Nordosten des Pazifiks zeitweise 33 Grad warm. „Die Korallenbleiche ist ein Produkt des Klimawandels, und das kann man genauso wenig auf halten wie das Abschmelzen des Eises an den Polen“, sagt Meeresbiologe Gerhard Herndl von der Universität Wien.
Was sie umbringt
Eigentlich sind die Korallen gut an El Niño angepasst, ist das Phänomen seit der letzten Eiszeit doch 2000-mal aufgetreten. Was heute anders ist: El Niño löst erst Korallenbleichen aus, seit der Klimawandel die Wassertemperatur in die Gefahrenzone getrieben hat. „Korallen brauchen zwar warmes Wasser, aber es darf nicht zu heiß werden“, erklärt Herndl. Alles über 30 Grad bringt sie um. „Das geht rasch, innerhalb von Tagen und Wochen.“
Insgesamt 32 Länder und Inselstaaten waren bereits von Korallenbleiche betroffen – besonders im Pazifik, Indischen Ozean, der Karibik und Australien. Einige Korallenarten konnten sich nach ein bis zwei Monaten erholen, anderen nie mehr. In den Lagunen von Belize etwa stieg 1998 die Temperatur des Wassers in 2 bis 10 m Tiefe auf 31,5 °C (normalerweise werden selten 29 °C überschritten) und verursachte eine Korallenbleiche, wie es sie in den letzten 3000 Jahren nicht gegeben hat.
Wenn der Korallenabbau weitergeht, ist es nicht nur die Tourismusindustrie auf den Malediven, den Seychellen oder in Australien, die leiden wird:
Korallen bilden die Riffe und die dienen als Wellenbrecher, die die Küstenlinie schützen.
Korallen decken zwar weniger als 0,1 Prozent der weltweiten Fläche ab, aber sie beherbergen mehr als 25 Prozent der weltweiten Biodiversität. Herndl: „Sterben die Korallen, verarmt das ganze System.“
Und Korallen sichern den Lebensunterhalt von mindestens 100 Millionen Menschen weltweit. Angesichts der zunehmenden Bedrohung des weltberühmten Great Barrier Reef hat erstmals eine Studie dessen wirtschaftlichen und sozialen Wert erfasst: Das Ökosystem ist mit 37,5 Milliarden Euro ein enormer Wirtschaftsfaktor.
Selbst wenn ein Wunder geschehen und der Trend sich umkehren würde, ist der Schaden nicht mehr abzuwenden: Korallen wachsen langsam, im Schnitt zwei Zentimeter pro Jahr. „Es dauert also sehr lange, bis sich das wieder erholt“, sagt Herndl.