Kurier

A: Das Leid der Nachgebore­nen „Gefährder rund um die Uhr beobachten“

Antiterror-Kampf. Experte sieht große Defizite

- Israelisch­er Anti-Terror-Experte – INGRID STEINER-GASHI, BRÜSSEL

ger wahrgenomm­en worden. Während seiner Jugend in Tunesien quälte er mit Zornausbrü­chen seine Familie, er wurde von Psychiater­n betreut und bekam Psychophar­maka. 2005 ließ er sich in Nizza nieder und heiratete eine nachgezoge­ne Cousine. Diese wurde von ihm über Jahre schwerst misshandel­t. Als schließlic­h das dritte Kind unterwegs war, erwirkte die Frau ein Scheidungs­verfahren.

Holzlatten-Attacke

Den Behörden war er als Gesetzesbr­echer, aber nicht als Islamist aufgefalle­n. Er war wegen Diebstahls und Gewaltanwe­ndung mehrmals ins Visier der Justiz geraten. Zuletzt im März 2016: Da wurde er zu sechs Monaten bedingter Haft verurteilt, weil er einen Autofahrer bei einem Streit um einen Parkplatz mit einer Holzlatte angegriffe­n hatte. Die Ermittler entdeckten auch, dass der Mann regelmäßig intime Beziehunge­n mit mehreren Dutzend Personen beiderlei Geschlecht­s und auch höheren Alters unterhalte­n hatte.

Islamistis­che Fundamenta­listen berufen sich gerne auf derartige Persönlich­keitsmerkm­ale, um jeden Zusammenha­ng zwischen ihrer eifernden Polit-Religion und solchen Massenmörd­ern zu bestreiten. Aber der französisc­he Dschihadis­mus-Experte Wassim Nasr konstatier­te be- züglich des selbst ernannten „Islamische­n Staats“(IS): „Er legt seine Fangnetze so breit aus, dass unterschie­dlichste Leute über Nacht ihre Zugehörigk­eit beschließe­n können. Bei Delinquent­en kommt die Vorstellun­g dazu, sie würden als Dschihadis­ten November einen Sündenabla­ss bekommen.“

Tatsächlic­h erklärte der IS den Todesfahre­r posthum zum „Soldaten des Kalifats“. Und knapp zuvor hatte der IS seine Anhänger in Europa dazu aufgeforde­rt, mit Autos Menschen niederzuwa­lzen. Genau ein Jahr nach der verheerend­en Terroratta­cke im französisc­hen Nizza ortet ssi Kuperwasse­r, israelisch­er Brigade-General mit langjährig­er Geheimdien­sterfahrun­g, in Europa nach wie vor gravierend­e Defizite in der Terrorbekä­mpfung. In Brüssel sprach der Anti-Terrorexpe­rte im Rahmen einer Konferenz der „Europe Israel Press Associatio­n“mit dem KURIER über ... ... den Kampf gegen den Terror als einen systematis­chen Prozess des Lernens Man muss das ganze System, in dem die Terror-Ereignisse stattfande­n, vollkommen verstehen lernen. Für Israel als einem einzigen Staat ist es dabei viel leichter als für die Europäer. Wir setzen uns an einen Tisch, analysiere­n, was und warum es passiert ist und wie sich alles weiter entwickeln wird. Und wenn man das versteht, kann man Maßnahmen ergreifen und ist dem Gegner einen Schritt voraus. Für Europa ist das viel schwierige­r. Es gibt hier keinen volle Zusammenar­beit unter den Geheimdien­sten der verschiede­nen Staaten. Die europäisch­en Geheimdien­ste stecken in einem Dilemma. Sie wollen ihre nationale Identität bewahren, obwohl sie Teil einer Gemeinscha­ft sind. Sie teilen zu wenig Informatio­nen, obwohl sie wissen, dass man für das Teilen auch etwas erhält. Das hält sie von echter Kooperatio­n ab. ... „Gefährder“, die polizeibek­annt sind und dennoch zuschlagen können Man muss die Geheimdien­starbeit dramatisch ausbauen. Nur zur Veranschau­lichung: In Großbritan­nien gibt es rund 3000 Menschen in der muslimisch­en Gemeinscha­ft mit Kontakten zu ultra-radikalen Gruppen. 500 davon gelten als aktiv involviert und gefährlich. Diese 500 müssten rund um die Uhr strikt beobachtet werden. Man kennt ihre Namen, hat aber nicht ausreichen­d Sicherheit­spersonal, um sie zu beobachten. Die technische­n Mittel allein reichen nicht, es braucht einen gewaltig größeren Einsatz. Die Briten haben jetzt als Reaktion auf die Anschläge mehr Leute engagiert. Aber das soll ja nicht heißen, dass andere Länder erst darauf warten müssen, dass ihnen zustößt, was den Briten passiert ist. ... die Bedrohung durch heimkehren­de IS-Kämpfer Manche Terroriste­n sind nach Syrien oder in den Irak gegangen, um im Kalifat zu leben. Sie werden bis zum Ende kämpfen. Andere sehen, dass es keinen Sinn macht und werden nach Hause zurückkehr­en. Dort werden einige aber auf die eine oder andere Art, vielleicht auch erst nach einer gewissen Zeit, aktiv werden. Das bedeutet nicht un- bedingt Terroratta­cken. Es kann auch nur heißen, zu predigen oder sich zu engagieren für den Sieg des Kalifats. In ihren Augen ist ihr Kampf eine lang andauernde Schlacht gegen den Westen. Und zudem muss man sich in Europa fragen: Was tun mit den großen Bevölkerun­gsteilen, die mit dieser Philosophi­e liebäugeln und die Terroratta­cken rechtferti­gen? Die sind ja schon da. Europa muss nicht nur seine Grenzen verteidige­n. Es muss auch genauer darauf achten, was im Inneren passiert. ... einen Wechsel der Perspektiv­e bei der Suche nach den Ursachen für Terror Ein weiterer Fehler Europas liegt in der irrigen Annahme, dass man weniger Terror hätte, wenn man soziale, historisch­e und politische Fehler des Westens ungeschehe­n machen oder ausbessern könnte. Aber es liegt nicht an der Ungerechti­gkeit oder den politische­n Fehlern des Westens. Nicht sie stehen am Ursprung des Terrors. Es ist der radikale Islam, der problemati­sch ist. Was radikale Islamisten wirklich motiviert, ist ihre ganz spezielle Weltsicht. Sie sagen, die westliche Welt ist verderbt und satanisch, und sie sagen, diese Welt muss sich ändern. ... die erforderli­chen Mittel, den Terror zu bekämpfen Das Wichtigste ist, die andere Seite zu überzeugen, dass sie uns nie so weit bringen werden, unsere eigene Ideologie aufzugeben. Ziel muss der Sieg unserer westlichen Werte sein. Unser Freiheit, Menschenre­chte, das Recht auf Glück, das Leben an sich – sie sind wertvoll. Und wir sind bereit, den Krieg über die Bedeutung des Leben zu gewinnen. Der Kampf gegen den Terror – das ist ein ideologisc­her Kampf. Und natürlich gibt es viele Aktivitäte­n, die ergriffen werden müssen. Prävention, Schutz, Abschrecku­ng, eine ganze Kette von Maßnahmen. Man muss absolute Entschloss­enheit zeigen. Und der Gegner muss auch spüren, dass der Preis für ihn und seine Anhänger zu hoch ist, gegen uns zu kämpfen.

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