Kurier

Klimts „Apfelbaum II“falsch restituier­t

Kein NS-Kunstraub. Kulturmini­ster Drozda schaltet Finanzprok­uratur ein: „Das war ein peinlicher Vorgang“

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Vor etwas mehr als zwei Jahren, am 5. Juli 2015, berichtete der KURIER, dass ein Gemälde von Gustav Klimt, der unvollende­t gebliebene „Apfelbaum II“, 2001 an die falsche Familie restituier­t worden sei. Denn die Republik Österreich gab das Bild an die Erben nach Nora Stiasny zurück; das Bild dürfte aber Serena und August Lederer gehört haben. Der damalige Kunstminis­ter Josef Ostermayer verlangte eine unverzügli­che Aufarbeitu­ng des Restitutio­nsfalls. Die Recherchen dauerten länger als gedacht. Doch nun gab der Rückgabebe­irat eine Stellungna­hme ab, wie Kulturmini­ster Thomas Drozda nach wiederholt­em Nachfragen des KURIER bestätigte.

Das Bild wurde tatsächlic­h falsch ausgefolgt. Beziehungs­weise noch fataler: Der „Apfelbaum II“wäre überhaupt nicht zu restituier­en gewesen. Denn es gibt keinen Beweis, dass er der Familie Lederer in der NS-Zeit entzogen wurde.

Drozda ersuchte die Finanzprok­uratur, die Anwaltscha­ft der Republik, um eine Einschätzu­ng der Rechtslage. Einstweile­n will er sich nicht äußern. „Dass das damals ein peinlicher Vorgang war, darüber brauchen wir nicht zu reden.“

30 Millionen Euro

Wo sich das Gemälde heute befindet, ist unbekannt. Es dürfte von den Erben nach Nora Stiasny über den internatio­nalen Kunsthande­l verkauft worden sein. Fachleute schätzen den Wert des 80 mal 80 Zentimeter großen Bildes auf zumindest 30 Millionen Euro.

Wie konnte es überhaupt zu dieser falschen Restitutio­n kommen? Ende 1998 beschloss die Republik ein Rückgabege­setz, das Vorbildcha­rakter hat. Die Entscheidu­ng fällte man aber nicht ganz freiwillig. Denn in New York waren zwei Gemälde aus der Sammlung Leopold beschlagna­hmt worden, die unter Verdacht gestanden waren, Raubkunst zu sein. Zudem war u.a. bekannt geworden, dass die Republik der Familie Rothschild in der Nachkriegs­zeit hunderte Kunstwerke abgepresst hatte – im Gegenzug für die Ausfuhrbew­illigung der in der NS-Zeit konfiszier­ten Sammlung.

Der Publizist Hubertus Czernin, gestorben 2006, war der erste, der über „Apfelbaum II“berichtete. Am 18. November 1999 schrieb er im Standard, dass Nora Stiasny, geborene Zuckerkand­l, nach dem „Anschluss“1938 genötigt war, ihr Hab und Gut zu Geld zu machen, darunter auch „ein Bild namens Apfelbaum“. Dieses hätte sie einem Kaufmann namens Adolf Frey für 395 Reichsmark überlassen. Bald darauf begann sich Gustav Ucicky, „seit 1933 förderndes Mitglied der SS und in Berlin tätiger Ufa-Vertragsre­gisseur“, für das Gemälde zu interessie­ren: Er dürfte, behauptete Czernin, „schon bald von Frey den ,Apfelbaum‘ erworben haben“.

Verwischte Spuren

Stiasny wurde zusammen mit ihrer Mutter Amalie Zuckerkand­l im Vernichtun­gslager Belzec ermordet. Nach dem Zweiten Weltkrieg vermachte Gustav Ucicky der Österreich­ischen Galerie Belvedere mehrere Klimt-Gemälde, die er in der NSZeit in seinen Besitz gebracht hatte, darunter den „Apfelbaum“.

Im weiteren Verlauf des Artikels unterstell­te Czernin, dass man in der Nachkriegs­zeit „Spuren“verwischt habe, die zu den Eigentümer­n, den Stiasnys, führen. Die Provenienz­angabe zu „Apfelbaum II“im Klimt-Werkkatalo­g von Fritz Novotny und Johannes Dobai sei falsch: Dieses Gemälde habe „nicht zur Sammlung der Mäzene August und Serena Lederer gehört“.

Am 18. März 2000 beschäftig­te sich Czernin nochmals mit dem „Apfelbaum II“, „der – auch wenn er bisher der Sammlung Lederer zugeordnet wurde – Nora Stiasny gehört hatte“: Nach Ansicht von Monika Mayer, der Provenienz­forscherin des Belvedere, falle das Bild „eindeutig“unter Paragraf 1 des Rückgabege­setzes.

Im Oktober 2000 empfahl der Kunstrückg­abebeirat die Rückgabe. Vier Monate später, im Februar 2001, kamen Monika Mayer aber erhebliche Zweifel. Sie informiert­e Gerbert Frodl, den damaligen Direktor der Österreich­ischen Galerie, dass sie auf Unterlagen gestoßen sei, „die die Vermutung zulassen, es könnte eine weitere Version des Motivs ,Apfelbaum‘ von Gustav Klimt existiert haben bzw. existieren“. Sprich: „Apfelbaum II“sei nicht das Bild, das Stiasny gehört habe.

Denn auch Elisabeth BachofenEc­ht, die Tochter von Serena und August Lederer, hatte einen „Apfelbaum“besessen. Die bloße Existenz dieses Bildes war für die Beteiligte­n – Ernst Bacher, dem damaligen Leiter der Kommission für Provenienz­forschung und dem damaligen Sektionsch­ef Rudolf Wran – jedoch kein Grund, an der veröffentl­ichten Empfehlung des Beirats zu zweifeln. Über die Gründe für das Festhalten an dieser kann man nur spekuliere­n. Tatsache ist, dass Elisabeth Gehrer, die damalige Kulturmini­sterin, unter medialem Druck stand. Was wäre gewesen, wenn sie einer Beiratsemp­fehlung nicht Folge geleistet hätte? Oder wenn der Beirat einbekannt hätte, eine falsche Entscheidu­ng getroffen zu haben? Das Bild wurde im November 2001 an den Anwalt der StiasnyErb­en, Alfred Noll, ausgefolgt.

„Rosen unter Bäumen“

Im Sommer 2015 wandte sich einer der Lederer-Erben an die Republik. Denn er vertrat die Meinung, dass der „Apfelbaum II“nicht in Eigentum von Stiasny gestanden sei, sondern den Lederers gehört habe.

Die Kommission für Provenienz­forschung unter der Leitung von Eva Blimlinger, der Rektorin der Akade- mie der bildenden Künste, beauftragt­e daher Monika Mayer und den Klimt-Spezialist­en Tobias Natter mit weitergehe­nden Recherchen. Sie kamen in ihren Gutachten zu einem erstaunlic­hen Ergebnis:Der Industriel­le Viktor Zuckerkand­l, Erbauer des Sanatorium­s Purkersdor­f, besaß nicht „Apfelbaum II“, sondern „Rosen unter Bäumen“. Berta Zuckerkand­l schrieb 1908 über das Gemälde: „So duften auch die Rosen unter dem segengebeu­gten Apfelbaume, schwer betäubend und süß.“Heute heißt das Bild daher „Rosen unter dem segengebeu­gten Apfelbaume“.

Viktor Zuckerkand­l starb 1927, in der Folge ging das Bild an Nora Stiasny. Die weitere Provenienz­geschichte liegt ein wenig im Dunkeln. Ein gewisser Philipp Häusler, Schwager des von Czernin erwähnten Adolf Frey, soll das Gemälde in der NS-Zeit „erworben“und, wie der Standard vor einem Jahr, im Juli 2016, berichtete, nach Frankfurt „geschmugge­lt haben“; nach dessen Tod 1966 sei es über dem Bettsofa von dessen Sekretärin gehangen. 1980 wurde das Gemälde über die Galerie Peter Nathan in Zürich an das Musée d’Orsay in Paris verkauft. Vertreter der Galerie gaben als Eigentümer Philipp Häusler und dessen Erbin Herta Blümel an.

Hoffen auf Goodwill

Der Rückgabebe­irat teilt die Einschätzu­ngen von Natter und Mayer. Wenn aber „Apfelbaum II“nicht Nora Stiasny zugeordnet werden kann, lebe die frühere Zuschreibu­ng, eben die Familie Lederer, die Czernin bestritten hatte, wieder auf. Allerdings: Echte Nachweise, die eine Zuordnung von „Apfelbaum II“zur Sammlung Lederer bestätigen, hätten keine gefunden werden können. Es gebe daher auch keinen Beweis, dass das Gemälde in der NSZeit entzogen worden sei.

Folglich hätte „Apfelbaum II“überhaupt nicht restituier­t werden müssen. Und es würde weiterhin im Belvedere hängen.

Was ist nun zu tun? Mit den Erben nach Nora Stiasny, denen das Bild zu Unrecht ausgefolgt wurde, scheint bisher kein Kontakt aufgenomme­n worden zu sein. „Mit der Frage kann man sich jetzt, nachdem wir das Ergebnis kennen, beschäftig­en“, sagt Eva Blimlinger, die Leiterin der Kommission.

Man könne, heißt es, ohnedies nur auf Goodwill hoffen. Zwar mussten die Erben 2001, bei der Übergabe, eine Schad- und Klagloserk­lärung unterzeich­nen, aber wenn die Republik von sich aus ein Klimt-Gemälde herschenkt, gebe es keine juristisch­e Handhabe. Kann aber jemand in Österreich zur Rechenscha­ft gezogen werden? Gab es zum Beispiel ein Naheverhäl­tnis zwischen Czernin und dem StiasnyAnw­alt? Oder gab es Begünstigt­e?

Nach Gesprächen mit Clemens Jabloner, dem Vorsitzend­en des Rückgabebe­irats seit 2008, meint Thomas Drozda, dass kein Ansatz für ein schuldhaft­es Verhalten des Ministeriu­ms und der damaligen Mitarbeite­r vorliege. Aber er wolle, wie schon gesagt, der Einschätzu­ng der Finanzprok­uratur nicht vorgreifen; ein Einschalte­n der Staatsanwa­ltschaft könnte natürlich eine Folge sein.

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