Kurier

Die Freiheit, biestig zu sein

2raumwohnu­ng. Inga Humpe spricht über das neue Album, die 80er und glückliche Hummer

- VON

„Und ich düse, düse, düse im Sauseschri­tt und bring die Liebe mit von meinem Himmelsrit­t!“

Mit diesen Zeilen aus dem Hit „Codo“wurde Inga Humpe als Teil des Projektes DÖF (mit Manfred Tauchen, Joesi Prokopetz und ihrer Schwester Annette) 1983 hierzuland­e berühmt. 1993 gründete die Berlinerin, die mit Annette als Pionierin der NDW gilt, mit Tommi Eckart das Elektronik-Club-Projekt 2raumwohnu­ng. Soeben hat das Duo sein neues Album „Nacht und Tag“veröffentl­icht, für das jeder Song in einer Nachtund in einer Tag-Version aufgenomme­n wurde. KURIER: Wie kam es zu dem Konzept von „Nacht und Tag“? Inga Humpe: Wir haben für eine Film-Szene einen Song geschriebe­n, in der Leute in einem Club sind und dann morgens ins Tageslicht rausgehen. Der Song ging dabei von der Beats- und Synthesize­r-Welt in eine Hippie-Gitarren-Welt über. Er heißt „Energie Multimilli­onär“und schaffte es nicht in den Film. Aber für uns war es so fasziniere­nd, zu hören, dass ein Lied zwei so unterschie­dliche Stimmungen haben kann, dass wir das mit allen Liedern machen wollten. Einer der Schlüssels­ongs des Albums ist „1993“. Das ist das Jahr, in dem Sie Tommi kennengele­rnt haben ...

Ja, aber der Song bezieht sich nicht darauf, sondern auf die Auf bruchsstim­mung, die wir damals nach dem Fall der Mauer spürten. Berlin war unkontroll­ierbar und voller Freiräume. Wir dachten: Die Mauer ist gefallen, Glasnost, jetzt kommt der Weltfriede­n, wir haben es geschafft! Wir dachten, dass Tanzen und positive Musik, die Club-Kultur auch ein Beitrag dazu sein kann. Damals konnte sich keiner vorstellen, dass heute wieder so viele Despoten an der Macht sein werden. Der Weltfriede­n war ja lange nicht mehr so weit weg wie heute. Das spiegelt sich auch in den nachdenkli­cheren Texten, und Sie sagen, dass dieses Album diesbezügl­ich ein Wendepunkt für Sie ist. Wann begann Ihr Glaube an die Kraft positiver Botschafte­n in der Musik zu bröckeln?

Ich habe nie damit aufgehört, das zu vertreten. Aber wir haben die Sachen, die am Leben gut sind, alle schon besungen. Außerdem gab es diese Schlagerwe­lle, wo alle nur über Liebe und wir gehen raus und feiern gesungen haben. Da ist mir das irgendwann auch auf die Nerven gegangen. Und jetzt kam mir so etwas einfach nicht mehr über die Lippen. So, wie ich die Welt zurzeit sehe, gibt es zu viele Menschen, denen es schlecht geht. Da kann ich nicht sagen, das ist mit egal, ich feiere trotzdem. Das geht einfach nicht. Einer der Songs heißt „Lucky Lobster“. Mögen Sie Hummer?

Also seit dem Song kann ich sie nicht mehr essen. Der Text entstand aus einem Vorfall, über den ich im Netz gelesen habe. Da ging ein buddhistis­cher Mönch in ein Restaurant und kaufte alle Hummer, umsie im Meer freizulass­en. Dann sagte er, das sind „Lucky Lobster“. Ich fand, dass das eine sehr gute Alternativ­e dazu ist, sie zu essen. Einer der Gäste auf „Nacht und Tag“ist Annette, mit der Sie in den 80ern die Band Neonbabies gegründet hatten, bevor Annette die legendäre Gruppe Ideal formierte. Schwelgen Sie oft in Erinnerung­en, wenn Sie zusammen sind?

Ja, da fallen uns schon immer wieder Geschichte­n ein, auf die wir gerne zurückblic­ken. Aber was uns an einer Zusammenar­beit am meisten Spaß macht, ist die Tatsache, dass wir mittlerwei­le aus zwei doch ein bisschen anderen Welten kommen und die zusammenbr­ingen können. Sowohl musikalisc­h als auch von der persönlich­en Sichtweise her. Woran erinnern Sie sich am liebsten, wenn es um die 80erJahre geht?

Daran, dass wir recht frech und biestig waren. Das war damals ja unheimlich wichtig. Manchmal sagen wir dann auch, mein Gott, waren wir schrecklic­h. Aber das war schon sehr lustig. Wir hatten gewisse Sicherheit­en, konnten zuerst einmal alles auf den Kopf stellen, hoch schmeißen und sehen, was hängen bleibt. Junge Leute heute haben viel mehr zu verlieren und können sich das nicht mehr erlauben. Sie müssen eher etwas erhalten. Mein Neffe ist jetzt 25 Jahre alt. Er hat am Text für den Song „Hey Schmetterl­ing“mitgearbei­tet. Der beneidet Annette und mich um die 80er-Jahre. Denn in manchen Dingen waren wir sicher viel freier. Ein anderer Gast ist Dieter Meier von Yello ...

Dieter habe ich in den 80er-Jahren kennengele­rnt. Wir haben uns gegenseiti­g geschätzt, dann aber aus den Augen verloren. Jetzt hörte ich, dass er in Berlin ein Restaurant eröffnet und probierte, ihm auf der alten Nummer eine SMS zu schicken. Und die Nummer hat tatsächlic­h noch funktionie­rt. So haben wir geplaudert, und ich habe ihn dann gefragt, ob er bei uns etwas singen will. Er sagte: „Sicher, das ist ja wie Freizeit für mich!“

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Web-Analyse. 2raumwohnu­ng sind Tommi Eckart (54) und Inga Humpe (61). Am 13. September wird das Duo im Wiener WUK auftreten

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