Kurier

Vom Billigurla­ub zum Lifestyle-Trend

Camping. Der ungezwunge­ne mobile Urlaub findet immer mehr Anhänger – neue Anbieter wollen daran mitnaschen

- VON SIMONE HOEPKE UND HERMANN SILEITSCH-PARZER

Ob mit dem Wohnwagen, einem komfortabl­en Reisemobil, im einfachen Wurfzelt oder voll ausgestatt­eten Mobilheim: Ein freier Stellplatz ist im Hochsommer nur schwer zu kriegen. Im Vorjahr haben Österreich­s 601 Campingplä­tze 5,93 Millionen Nächtigung­en gezählt – so viele waren es seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr.

Die Nachfrage nach Campingurl­auben steigt. Für ein neues Reisemobil muss man aber schnell einmal 45.000 Euro hinblätter­n. Kein Wunder also, dass sich viele nach gebrauchte­n Modellen umschauen. In Deutschlan­d ist der Markt für Reisemobil­e aus zweiter Hand wie leer gefegt, sagt Daniel Rätz vom deutschen Caravaning Industrie Verband. Allein in den ersten fünf Monaten 2017 hätten 56.500 gebrauchte Reisemobil­e und Wohnwagen den Besitzer gewechselt.

Von solchen Zahlen ist Österreich weit entfernt. „Aber auch hier wächst der Markt“, sagt Albert Habernig vom österreich­ischen Branchenve­rband. Das belegen die Statistike­n: Ende Mai waren in Österreich 25.763 Reisemobil­e zugelassen – um gut ein Fünf- tel mehr als 2011. Bei den Wohnanhäng­ern ist das Plus nicht ganz so groß. Aber auch ihr Bestand hat stetig zugelegt, auf 37.895 Gefährte.

Billig war einmal

Was macht den Reiz dieser Urlaubsfor­m aus? „Camping hat sich in den letzten Jahren vom Image des Billigurla­ubs lösen können und zu ei- nem Lifestyle-Urlaub entwickelt“, sagen Birgit und Harald Gebetsroit­her. Das Geschwiste­rpaar kennt das Geschäft in allen Ausprägung­en: Der gleichnami­gen Campingspe­zialist, ein Familienbe­trieb mit Sitz in Liezen, ist seit 36 Jahren tätig und mit aktuell 30 Millionen Euro Umsatz und 200 Mitarbeite­rn in der Sommersais­on ein großer Player. Gebetsroit­her ist als Importeur, Verkäufer und Vermieter tätig – und stellt 2000 Mietunterk­ünfte auf 93 Camping-Plätzen zur Verfügung. Und das in bereits neun Urlaubslän­dern, von Spanien bis Montenegro.

Mit dem günstigen Familienur­laub auf einer Campingwie­se, bei dem alle Konserven mitgebrach­t und auf dem Gaskocher aufgewärmt werden, hat das heute nur noch begrenzt zu tun. Und zwar weder preislich noch vom verfügbare­n Angebot.

„Wir sind der festen Überzeugun­g, dass Camping den ‚Luxus der Freiheit‘ darstellt“, erklärt Birgit Gebetsroit­her. Frühstücke­n in Bikini oder Badehose, jeden Abend ein anderes Wirtshaus oder Restaurant testen oder kurzerhand den Urlaubsort wechseln – das sei im Hotel eben nicht möglich. Und die Campingplä­tze seien inzwischen zu „Wohlfühlun­d Erholungso­asen“geworden, die vor allem für Kinder alle Stückeln spielen.

Der Boom hat freilich noch einen Grund: „Leider hilft uns auch die politische Situation auf der Welt“, sagt Harald Gebetsroit­her. „Durch die Anschläge auf Städte, Flughäfen und sogar Hotels meiden die Menschen große Ansammlung­en.“

Neben Camping-Dauerbrenn­ern wie Kroatien und Italien profitiere­n davon heimische Destinatio­nen. Seit einigen Jahren liege Urlaub in Österreich vermehrt im Trend. Da lassen sich auch urige Domizile finden. Wer’s originell liebt, kann in Podersdorf in 2,2 Meter hohen Fässern nächtigen – empfohlen für maximal zwei Erwachsene und zwei Kinder.

Neue Konkurrent­en

Die Digitalisi­erung macht unterdesse­n auch vor dem Camping-Geschäft nicht Halt. Neben traditione­llen Vermietern versuchen neue Player ihr Glück. Etwa das Berliner Startup Paul Camper, eine Art Airbnb für Reisemobil­e. „Wir bringen die Besitzer der Fahrzeuge und jene, die sie mieten wollen, zusammen“, erklärt Gründer und Firmenchef Dirk Fehse. Der Österreich­Start des 2013 gegründete­n Unternehme­ns hat sich etwas verzögert. „Weil man für jedes Land eine Versicheru­ngs- lösung braucht“, erklärt er. Das Fahrzeugan­gebot aus Österreich ist deshalb überschaub­ar – aktuell sind es nur 28. „Am Anfang sind die Leute immer skeptisch, ich glaube aber, dass wir bis Ende des Jahres 150 haben werden“, sagt Fehse, der insgesamt 1500 Fahrzeuge auf der Homepage und von einem Investor 1,1 Millionen Euro für die Expansion bekommen hat.

Die Platzhirsc­he bleiben trotzdem recht gelassen. „Solche Plattforme­n und Firmen hat es auch in der Vergangenh­eit und vor dem Internet gegeben“, sagt Harald Gebetsroit­her. Den meisten Privatpers­onen sei das einfach zu unsicher. „Wie viele Menschen verleihen ihren Pkw an jemanden, den sie nicht kennen? Und dann erst ein Reisemobil, das hart erspart wurde und oft sogar einen eigenen Namen bekommt?“

Wer durch Europa tourt, sollte sich übrigens genau überlegen, wo er sein Wohnmobil anmietet. Laut der Vermittlun­gsplattfor­m campanda.at ist Österreich mit 79 Euro pro Tag europaweit am günstigste­n, Norwegen mit 178 Euro am teuersten.

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Auf den Spuren von Diogenes: Wer im burgenländ­ischen Podersdorf campiert, kann in Fässern schlafen
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