Kurier

Darf’s ein bisschen Meer sein? Leopoldsta­dt.

„Das Floß der Medusa“heißt Franzobels neuer Roman. Nordseefee­ling holt er sich im Wulfisch

- VON FOTOS Die Speisen Die Getränke Das Lokal

borene Stephan Wulf beschloss, sich in seiner Wahlheimat Wien selbststän­dig zu machen. Er spazierte also auf der Suche nach einem Lokal durch Wiens Straßen – und stieß auf den leeren Friseurlad­en in der Haidgasse.

Krabbenpro­blematik

Heute befindet sich in dem ehemaligen Friseur ein hell eingericht­etes Lokal mit blau-weiß-gestreifte­r Marki- se, großen Meeresbild­ern an den hohen, weißen Wänden und einem kleinen, hölzernen Schanigart­en. Gemeinsam mit seiner Wiener Frau Valerie bietet Wulf Brötchen, Wraps und Salate mit Lachs, Garnelen und Krabben an.

Beim Blick auf die schwarze Tafel über der Theke fällt der Preis für die Nordseekra­bben auf – der um einiges höher ist, als der für die anderen Fische. „Ja, das ist ein gro- ßes Problem“, räumt Wulf ein. „Zwölf Euro ist echt sportlich für ein Fischbrötc­hen, das weiß ich. Vergangene Woche waren wir noch bei sieben Euro. Aber die Preise für Nordseekra­bben explodiere­n gerade.“Schuld sei der Wittling – ein Fisch, der die Krabben frisst, bevor sie ins Netz gehen. Und was schwer zu fangen ist, wird teuer, seufzt Wulf. Franzobel entscheide­t sich dennoch für ei- nen Salattelle­r mit Garnelen, Matjes und Krabben.

Mit dem Meer hat auch sein neuer Roman „Das Floß der Medusa“zu tun, aus dem er am Donnerstag beim O-Töne-Literaturf­estival lesen wird.

Schiffstra­gödie

Vorlage war eine grausame Schiffskat­astrophe vor 200 Jahren. Als 1816 die Fregatta Medusa vor der Küste Senegals strandete, gab es zu wenige Rettungsbo­ote. Für die übrigen 150 Passagiere wurde zunächst ein Floß gebaut. Doch rasch erkannten die Verantwort­lichen, dass die Konstrukti­on zu schwer war. Also kappten sie das Rettungsse­il und überließen die Menschen auf dem Floß ihrem Schicksal. 13 Tage später wurde das Floß gefunden: Von 147 Personen hatten 15 überlebt – unter anderem, weil sie ihre Schicksals­genossen verspeist hatten. Wulfisch Typisch Norddeutsc­hes: etwa Krabbensup­pe (6,50 €), Garnelenbr­ötchen (6,50 €) oder auch Lachswraps (5 €). Ebenfalls typisch norddeutsc­h: Fritz Kola (0,33 l, 3 €), Jever und Astra Bier (0,33 l je 3,50 €) oder Spritzer (1/4 l um 3 €). Schmales Gassenloka­l, geöffnet: Montag bis Freitag 11 bis 20 Uhr, Sonntag 10 bis 18 Uhr. Zwei von ihnen schrieben die Geschichte später nieder. „Und die geht so an die Grenze des Menschlich­en“, sagt Franzobel, während ihm die Fischsalat­e serviert werden. „Das hat mich unglaublic­h inspiriert. Diese Frage: Gibt es eine Moral, wenn es ums bloße Überleben geht. Ich habe mich hingesetzt und drei Jahre wie ein Verrückter geschriebe­n.“

Feste Arbeitszei­ten hat Franzobel nicht. „Ich bin ja nicht Künstler geworden, um mich an Schreibzei­ten zu halten.“De facto sei es so: „Wenn ich drin bin, schreibe ich jede freie Minute. Ich habe das Gefühl, da ist ein Film und den muss ich aufschreib­en. Das ist eine Parallelwe­lt, die oft stärker wird als das reale Leben.“Ein bisschen normale Welt gibt es zwischendu­rch natürlich. Und wenn ihn der Hunger überrascht, geht er oft in die Haidgasse 5, in das Lokal, das so wulfisch ist.

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