Jedermann ist Jedermann
Der Salzburger Dauerbrenner. Und seine Stars von Curd Jürgens bis Tobias Moretti
Das Stück zählt nicht unbedingt zur großen Weltliteratur, und doch hat es in bald 100 Jahren mehr als eine Million Menschen nach Salzburg gelockt, die dort „das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“sehen wollten. Ab Freitag in neuem Gewand und neuer Besetzung mit Tobias Moretti in der Titelrolle. Was aber ist das Geheimnis der bei weitem erfolgreichsten Theaterproduktion in der Salzburger Festspielgeschichte?
„Hier spielt alles mit“
Helmuth Lohner, Jedermann der 1990er-Jahre, hat die Faszination des HofmannsthalKlassikers auf das Publikum so erklärt: „Hier spielt alles mit, was die menschliche Seele bewegt: Reichtum, Freundschaft, Liebe, Sex, Religion und Tod. Wir alle sind mit dem Inhalt dieses Märchens tagtäglich konfrontiert, alle Figuren sind in uns.“Jedermann ist Jedermann. Dazu kommt die Kulisse des Domplatzes, auf dem das Stück (bei Schönwetter) aufgeführt wird, aber mehr noch als alles andere: Der Starkult, der um den jeweiligen Titelhelden des Dauerbrenners getrieben wird. Sämtliche Jedermänner werden zu den größten Schauspielern des deutschen Sprachraums gezählt.
Mit Butler zur Probe
Kein Wunder, wenn man sich die Liste der Hauptdarsteller ansieht. Curd Jürgens etwa, der die Figur des Renaissancefürsten nicht gespielt, sondern gelebt hat. Er kam mit Butler und Rolls-Royce zu den Proben, beherrschte die Societyspalten während der gesam- ten Festspielsaison und lud nach der letzten Vorstellung 200 Prominente ins Schloss Kleßheim zur Tafelrunde mit Champagner und Kaviar.
Obwohl Hofmannsthals „Jedermann“wirkt, als wäre er für Salzburg geschrieben, fand die Uraufführung – frei nach einem mittelalterlichen Mysterienspiel aus England – 1911 in Berlin statt. Max Reinhardt, der damals schon den Plan hatte, in der Mozartstadt Festspiele zu etablieren, erkannte, dass das Thema exakt auf den Domplatz passte: Der genusssüchtige Jedermann begreift an der Schwelle des Todes, dass er sein Leben vergeudet und nun auch seine Frau, sein Vermögen, seine Freunde verloren hat.
Lederhose als Gage
Zunächst machte der Erste Weltkrieg den Plan für Festspiele in Salzburg zunichte, doch im Sommer 1920 war’s dann soweit. Und es war klar, dass der „Jedermann“im Mittelpunkt des neuen Festivals stehen würde. Die Einnahmen der ersten Vorstellungen kamen Kriegsinvaliden zugute, die Schauspieler erhielten lediglich symbolische Geschenke: Werner Krauß etwa für die Rolle des Teufels eine Lederhose.
War der „Jedermann“vorerst nur als Auftakt der ersten Festspiele gedacht, so sorgte der gigantische Publikumszuspruch dafür, dass das Stück zum Evergreen, zum Symbol für Salzburg, wurde.
Von den Nazis verboten
Attila Hörbiger war stolz darauf, „der letzte Jedermann aus des Meisters Hand“zu sein. Tatsächlich führte Max Reinhardt 1935 einmal noch Regie. „Er gab mir den Rat, die Sterbeszene langsam zu spielen“, erinnerte sich Hörbiger. „Lass dir mit dem Sterben Zeit, hauch deine Seele ruhig aus.“
Die Nazis verboten „das Machwerk des Juden Hofmannsthal in der Regie des Juden Goldmann“Nach dem Krieg waren es wieder Publikumsmagneten, die den reichen Mann spielten, und nicht minder prominent wurde seine Geliebte, die Buhlschaft, besetzt: 1974 bis 1982 mit Senta Berger, die ihre allererste Vorstellung beinahe nicht erlebt hätte.
Akute Lebensgefahr
Sie brach in der Nacht vor der Premiere mit höllischen Schmerzen zusammen, was vom Theaterarzt – der die Aufführung retten wollte – mit Premierenfieber abgetan wurde. Glücklicherweise erkannte Senta Bergers Ehemann, der Arzt und Regisseur Michael Verhoeven, dass seine Frau in akuter Lebensgefahr schwebte und brachte sie ins Salzburger Landeskrankenhaus, wo eine Bauchhöhlen- schwangerschaft festgestellt wurde. Eine Notoperation rettete ihr Leben und Ex-Buhlschaft Christiane Hörbiger sprang für ihre Kollegin ein.
Doch die Proben – oft in sengender Hitze – forderten auch ein Todesopfer: Der 66jährige Schauspieler Eric Pohlmann, der den dicken Vetter spielte, erlitt 1979 am Domplatz einen Herzinfarkt und starb kurz danach.
Hofmannsthal hatte festgehalten, dass der Kern des Stückes „keiner bestimmten Zeit angehörig“sei, in späteren Inszenierungen wurde die Handlung ins Heute verlegt, und die Darsteller traten in modernen Gewändern auf.
„Nur der Dom stört“
Worüber Schauspieler und Publikum nicht immer glücklich waren. Als etwa Max Reinhardts Sohn Gottfried 1961 Regie führte, wurde ihm vorgeworfen, dass die Inszenierung nicht im Sinn seines Vaters ausgefallen wäre: Walther Reyer gab die Titelrolle in einer modisch übersteigerten Version, die Kostüme kamen aus Hollywood, die Musik war von Ernst Krenek. Nach der Generalprobe fragte Heinrich Schweiger, der den Teufel spielte und mittels eines Trampolins auf die Bühne katapultiert wurde, einen alten Billeteur – der alle Jedermänner seit den 1920er Jahren gesehen hatte – wie ihm die Vorstellung gefallen hätte. „Sehr interessant, sehr interessant“, sagte der erfahrene Kiebitz, um dann zu dem Schluss zu gelangen: „Nur der Dom stört!“
georg.markus@kurier.at