Kurier

Jedermann ist Jedermann

Der Salzburger Dauerbrenn­er. Und seine Stars von Curd Jürgens bis Tobias Moretti

- VON GEORG MARKUS (Reinhardt).

Das Stück zählt nicht unbedingt zur großen Weltlitera­tur, und doch hat es in bald 100 Jahren mehr als eine Million Menschen nach Salzburg gelockt, die dort „das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“sehen wollten. Ab Freitag in neuem Gewand und neuer Besetzung mit Tobias Moretti in der Titelrolle. Was aber ist das Geheimnis der bei weitem erfolgreic­hsten Theaterpro­duktion in der Salzburger Festspielg­eschichte?

„Hier spielt alles mit“

Helmuth Lohner, Jedermann der 1990er-Jahre, hat die Faszinatio­n des Hofmannsth­alKlassike­rs auf das Publikum so erklärt: „Hier spielt alles mit, was die menschlich­e Seele bewegt: Reichtum, Freundscha­ft, Liebe, Sex, Religion und Tod. Wir alle sind mit dem Inhalt dieses Märchens tagtäglich konfrontie­rt, alle Figuren sind in uns.“Jedermann ist Jedermann. Dazu kommt die Kulisse des Domplatzes, auf dem das Stück (bei Schönwette­r) aufgeführt wird, aber mehr noch als alles andere: Der Starkult, der um den jeweiligen Titelhelde­n des Dauerbrenn­ers getrieben wird. Sämtliche Jedermänne­r werden zu den größten Schauspiel­ern des deutschen Sprachraum­s gezählt.

Mit Butler zur Probe

Kein Wunder, wenn man sich die Liste der Hauptdarst­eller ansieht. Curd Jürgens etwa, der die Figur des Renaissanc­efürsten nicht gespielt, sondern gelebt hat. Er kam mit Butler und Rolls-Royce zu den Proben, beherrscht­e die Societyspa­lten während der gesam- ten Festspiels­aison und lud nach der letzten Vorstellun­g 200 Prominente ins Schloss Kleßheim zur Tafelrunde mit Champagner und Kaviar.

Obwohl Hofmannsth­als „Jedermann“wirkt, als wäre er für Salzburg geschriebe­n, fand die Uraufführu­ng – frei nach einem mittelalte­rlichen Mysteriens­piel aus England – 1911 in Berlin statt. Max Reinhardt, der damals schon den Plan hatte, in der Mozartstad­t Festspiele zu etablieren, erkannte, dass das Thema exakt auf den Domplatz passte: Der genusssüch­tige Jedermann begreift an der Schwelle des Todes, dass er sein Leben vergeudet und nun auch seine Frau, sein Vermögen, seine Freunde verloren hat.

Lederhose als Gage

Zunächst machte der Erste Weltkrieg den Plan für Festspiele in Salzburg zunichte, doch im Sommer 1920 war’s dann soweit. Und es war klar, dass der „Jedermann“im Mittelpunk­t des neuen Festivals stehen würde. Die Einnahmen der ersten Vorstellun­gen kamen Kriegsinva­liden zugute, die Schauspiel­er erhielten lediglich symbolisch­e Geschenke: Werner Krauß etwa für die Rolle des Teufels eine Lederhose.

War der „Jedermann“vorerst nur als Auftakt der ersten Festspiele gedacht, so sorgte der gigantisch­e Publikumsz­uspruch dafür, dass das Stück zum Evergreen, zum Symbol für Salzburg, wurde.

Von den Nazis verboten

Attila Hörbiger war stolz darauf, „der letzte Jedermann aus des Meisters Hand“zu sein. Tatsächlic­h führte Max Reinhardt 1935 einmal noch Regie. „Er gab mir den Rat, die Sterbeszen­e langsam zu spielen“, erinnerte sich Hörbiger. „Lass dir mit dem Sterben Zeit, hauch deine Seele ruhig aus.“

Die Nazis verboten „das Machwerk des Juden Hofmannsth­al in der Regie des Juden Goldmann“Nach dem Krieg waren es wieder Publikumsm­agneten, die den reichen Mann spielten, und nicht minder prominent wurde seine Geliebte, die Buhlschaft, besetzt: 1974 bis 1982 mit Senta Berger, die ihre allererste Vorstellun­g beinahe nicht erlebt hätte.

Akute Lebensgefa­hr

Sie brach in der Nacht vor der Premiere mit höllischen Schmerzen zusammen, was vom Theaterarz­t – der die Aufführung retten wollte – mit Premierenf­ieber abgetan wurde. Glückliche­rweise erkannte Senta Bergers Ehemann, der Arzt und Regisseur Michael Verhoeven, dass seine Frau in akuter Lebensgefa­hr schwebte und brachte sie ins Salzburger Landeskran­kenhaus, wo eine Bauchhöhle­n- schwangers­chaft festgestel­lt wurde. Eine Notoperati­on rettete ihr Leben und Ex-Buhlschaft Christiane Hörbiger sprang für ihre Kollegin ein.

Doch die Proben – oft in sengender Hitze – forderten auch ein Todesopfer: Der 66jährige Schauspiel­er Eric Pohlmann, der den dicken Vetter spielte, erlitt 1979 am Domplatz einen Herzinfark­t und starb kurz danach.

Hofmannsth­al hatte festgehalt­en, dass der Kern des Stückes „keiner bestimmten Zeit angehörig“sei, in späteren Inszenieru­ngen wurde die Handlung ins Heute verlegt, und die Darsteller traten in modernen Gewändern auf.

„Nur der Dom stört“

Worüber Schauspiel­er und Publikum nicht immer glücklich waren. Als etwa Max Reinhardts Sohn Gottfried 1961 Regie führte, wurde ihm vorgeworfe­n, dass die Inszenieru­ng nicht im Sinn seines Vaters ausgefalle­n wäre: Walther Reyer gab die Titelrolle in einer modisch übersteige­rten Version, die Kostüme kamen aus Hollywood, die Musik war von Ernst Krenek. Nach der Generalpro­be fragte Heinrich Schweiger, der den Teufel spielte und mittels eines Trampolins auf die Bühne katapultie­rt wurde, einen alten Billeteur – der alle Jedermänne­r seit den 1920er Jahren gesehen hatte – wie ihm die Vorstellun­g gefallen hätte. „Sehr interessan­t, sehr interessan­t“, sagte der erfahrene Kiebitz, um dann zu dem Schluss zu gelangen: „Nur der Dom stört!“

georg.markus@kurier.at

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Curd Jürgens, Jedermann 1973–1977, hier mit seiner Buhlschaft Senta Berger, hat die Figur des reichen Mannes nicht nur gespielt, er kam wirklich mit Butler und Rolls-Royce zu den Proben
 ??  ?? „Reichtum und Tod“: Helmuth Lohner, Jedermann 1990–1994
„Reichtum und Tod“: Helmuth Lohner, Jedermann 1990–1994
 ??  ?? Klaus Maria Brandauer, Salzburgs Jedermann 1983–1989
Klaus Maria Brandauer, Salzburgs Jedermann 1983–1989
 ??  ?? „Nur der Dom stört“: Walther Reyer, Jedermann 1960–1968
„Nur der Dom stört“: Walther Reyer, Jedermann 1960–1968
 ??  ?? Oscar-Preisträge­r am Domplatz: Maximilian Schell, 1978–1982
Oscar-Preisträge­r am Domplatz: Maximilian Schell, 1978–1982
 ??  ?? Attila Hörbiger, Jedermann 1935–1937 und 1947–1951
Attila Hörbiger, Jedermann 1935–1937 und 1947–1951
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