Kurier

Mehr Studenten, Forscher & Firmen

Sepp Hochreiter. Der bayerische Bioinforma­tiker, ein weltweit gefragter Wissenscha­ftler, über seine Ziele

- VON JOSEF ERTL

Josef (Sepp) Hochreiter ist Bauerssohn aus dem bayerische­n Mühldorf am Inn und Vorstand des Instituts für Bioinforma­tik an der Linzer Kepleruniv­ersität. Der 50-Jährige, der mit einer Musikwisse­nschaftler­in verheirate­t ist, ist wegen seiner Forschunge­n zur künstliche­n Intelligen­z ein weltweit gefragter Wissenscha­ftler.

KURIER: Was darf man sich unter künstliche­r Intelligen­z vorstellen? Sepp Hochreiter: Es geht um Maschinen, um Computer, die ein kognitives Verhalten, also ein menschenäh­nliches Verhalten haben und die intelligen­t handeln. Diese sehen, hören oder fühlen etwas. Sie haben ein Ziel. Sie möchten beispielsw­eise mehr Strom haben, oder eine Sache von einer zu einer anderen Stelle bringen. Sie agieren in- telligent, um dieses Ziel zu erreichen. Das heißt, sie handeln rational und logisch, wo wir Menschen sagen, die haben sich das überlegt. Sie haben Fähigkeite­n, die Welt zu verstehen.

Ein autonom fahrendes Fahrzeug erkennt zum Beispiel Verkehrsze­ichen.

Diese Systeme sind schon besser als der Mensch. Das sind die Anfänge der künstliche­n Intelligen­z, es fehlt aber noch das Weltverstä­ndnis. Wir wollen aber von der schwachen künstliche­n Intelligen­z zur starken. Starke künstliche Intelligen­z sind Maschinen, die erkennen, was ein Mensch, ein Hund, ein Kind ist. Das kann zum Beispiel ein Roboter in einer Fabrik sein, der auch aufpassen muss, dass er einen Menschen nicht überrollt und verletzt.

Wir möchten zum Beispiel Maschinen entwickeln, die Firmen einsetzen, um eine Drehmaschi­ne zu bedienen. Oder die im Haushalt Staub saugen.Wir stellen Maschinen her, die sich auf bestimmte Aufgaben einstellen können. Also Maschinen, die wissen, wie die Welt funktionie­rt, die wissen, wie Menschen miteinande­r reden.

Ihr Büro hier an der Kepleruniv­ersität ist sehr einfach eingericht­et: ein Schreibtis­ch, ein Computer, ein Laptop, ein Telefon. Sie beschäftig­en sich hauptsächl­ich mit Mathematik und Informatik. Wie setzt man diese in künstliche Intelligen­z um?

Es findet gerade ein Paradigmen­wechsel statt. Bisher hatte man ein Problem und man hat überlegt, wie man es löst. Dann hat der Programmie­rer ein Programm geschriebe­n. Wir sagen nun, wir wissen nicht, wie wir das Problem lösen sollen, aber gebt uns viele Daten und sagt uns wie ihr es gern hättet. Wir programmie­ren nicht mehr, sondern sagen dem System nur mehr, ob es das richtig oder falsch gemacht hat. Wir sagen nicht, was es genau machen muss und sagen auch nicht wie die Problemlös­ung aussieht. Das bedeutet, dass Programme von solchen Dingern selbst geschriebe­n werden. Das bedeutet, dass wir in der gesamten Informatik mit Daten arbeiten.

Was lernen die Studenten bei Ihnen?

Bei uns sind die Standardfä­cher Mathematik und Informatik wichtig. Aber auch Programmie­ren. Sie müssen mit großen Mengen an Daten umgehen können. Das ist sehr anspruchsv­oll. Firmen wie Facebook und Google schlecken sich die Finger ab nach solchen Leuten.

Sie haben etwas Spezielles entwickelt, die LSTM-Architektu­r (Long Short Term Memory). Was ist das?

Das ist im Bereich der neuronalen Netze. Das ist schon uralt, ich habe das in meiner Diplomarbe­it entwickelt. Damals ist es noch nicht so gut angekommen, weil es die Datenmenge­n und die Computer noch nicht gegeben hat. Das ist ein rekurrente­s Netz, ein Netz, das sich etwas merken kann. Das große Problem war bisher, dass die Netze das Alte vergessen haben. Ich habe ein Netz erfunden, das die Vergangenh­eit spei- chern kann, aber selektiv das speichert, was man später wieder brauchen kann. Zum Beispiel Wörter eines Satzes. LSMT ist zum Beispiel bei SIRI im iPhone im Einsatz. Google hat fast alle Systeme heute mit LSTM laufen. Aber auch jedes Android und AOS hat das LSTM drinnen. Meine LSTM-Netze befinden sich praktisch in jedem Handy, Milliarden von Nutzern verwenden sie täglich. Es hat dadurch einen Riesenspru­ng in der Sprach- und Textverwal­tung und in der Übersetzun­g gegeben. Man kann auch Ideen abspeicher­n.

Nachdem die großen Konzerne wie Google oder Amazon Ihr System verwenden, muss man annehmen, dass Sie durch Ihre Erfindung reich geworden sind.

Ich habe keinen Cent dafür bekommen. Damals hat das keinen interessie­rt. Keiner hat gewusst, dass das so durchschla­gen wird. Außerdem hätte ich mir ein Patent als Student gar nicht leisten können.

Google hat in London hundert Leute beschäftig­t, die nur am LSTM arbeiten. Bei Microsoft und Facebook ist das ähnlich. Es ist heute so, dass ich an meinen eigenen Ideen kaum mehr forschen kann, weil andere Fir- men so viel Power hineinstec­ken. Da kann ich in Linz mit drei Leuten kaum mithalten.

Sie haben ein Angebot aus dem Ausland vorliegen, man versucht Sie abzuwerben ...

Neben vielen Aspekten haben wir in Linz ein strukturel­les Problem. Ich bekomme zu wenig Studenten. Viele gehen nach Wien oder nach Graz. Wenn ich in eine größere Stadt gehe, habe ich mehr Studenten und man kann eine größere Gruppe auf bauen. Für Leute von außen sind Städte wie London oder Paris attraktive­r als Linz. Der Punkt ist, ob Linz genügend gute Leute anziehen kann.

Sowohl das Land als auch der Rektor wollen die Kepler-Universitä­t attraktive­r machen. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig?

Die Stadt müsste attraktive­r werden. Linz hat noch immer den Touch einer Industries­tadt, obwohl es schon viel besser geworden ist. Man sollte die Vorteile stärker herausstre­ichen. Da gibt es die Donau, das Mühlvierte­l, das ist eine lebenswert­e Region. Dann wird man attraktiv für die Menschen aus anderen europäisch­en Ländern.

Ich war überrascht, wie gut die Industrie drauf ist. Aber Firmen wie Google oder Facebook sind nicht da. Google ist nach Zürich gegangen. Wenn es hier genügend qualifizie­rte Leute geben würde, würden sich diese Firmen ansiedeln. Aber die Studenten gehen nach Wien und Graz.

Das heißt, Linz muss bestrebt sein, mehr Studenten anzuziehen.

Genau. Und auch zeigen, dass Linz eine lebenswert­e Stadt ist. Jeder kennt Salzburg wegen Mozart, jeder kennt Wien, aber Linz ist weltweit zu unbekannt. Man sollte argumentie­ren, Linz liegt mitten in Europa, da sind Wien, Prag und Salzburg in der Nähe.

Hat Linz marketingm­äßig ein Problem?

Das kann ich nicht sagen. Aber wenn ich wo hinkomme, sagen sie, den Sepp kennt man, aber wo kommst du her? Aus Linz. Wo ist das? In Österreich. Aber wo in Österreich? Linz kennt man weniger, als man denkt.

Internatio­nal kennt man es gar nicht?

Gar nicht würde ich nicht sagen. Manche kennen den Namen, aber man fragt, wo liegt es eigentlich? Und man kennt das Voralpenla­nd nicht. Dass das eine schöne Gegend ist. Man müsste versuchen gute Leute und gute Firmen im Bereich der künstliche­n Intelligen­z zu bekommen wie Facebook, Google und Microsoft. Diese Firmen gehen dorthin, wo Universitä­ten sind, die viele Absolvente­n produziere­n. Hier in Linz haben wir in der Informatik vielleicht 50 Absolvente­n. Das lohnt sich für die Firmen nicht. Wenn wir mehr Absolvente­n und mehr Firmen hätten, würden die Studenten sofort einen Job finden. Dann würde es sofort losgehen.

Dann gäbe es eine neue Dynamik.

Diese loszutrete­n wäre zwar ein Traum, aber man kann nicht gleich von null auf 50 loslegen. Es gibt aber solche Phänomene, wie London oder die ETH Zürich. Die Firmen gehen dort hin, wo die Studenten sind. Weil die Firmen dort sind, gehen die Studenten noch lieber hin. Ähnlich wie beim MIT (Massachuse­tts Institute of Technology).

Es wäre gut, wenn ich viele gute Leute herbringen könnte. Sowohl Studenten als auch Forscher, die nach Linz kommen. Hier bräuchte ich Hilfe von der Stadt, vom Land und vom Rektor. Das muss man hier machen, damit es in der künstliche­n Intelligen­z (KI) richtig losgeht. Alle Firmen werden diese künstliche Intelligen­z benötigen. Sie ist in a llen Smartphone­s drinnen. Jetzt ist gerade der neue Audi A 8 damit rausgekomm­en.

Sie haben eine Kooperatio­nsprojekt mit Audi.

Wir machen für Audi die selbstfahr­enden Sachen. Wir analysiere­n mit unseren Methoden die Kamerabild­er. Wir möchten auch erreichen, dass wir analysiere­n können, wenn zwei Kindern miteinande­r kommunzier­en, damit wir ihr Verhalten dem Auto gegenüber kennenlern­en. Mit einer Bildersequ­enz kann man feststelle­n, wie sich der Fußgeher dem Auto gegenüber verhält.

„Bei der künstliche­n Intelligen­z geht es um Maschinen mit menschenäh­nlichem Verhalten.“Sepp Hochreiter Instituts-Gründer Bioinforma­tik

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Sepp Hochreiter fährt mit dem Fahrrad von seiner Wohnung in der Linzer Innenstadt ins Büro an der Kepleruniv­ersität in Dornach-Auhof

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