Kurier

Ball-Königinnen

Emanzipati­on. Heute startet in Utrecht die Endrunde der Frauen-Fußball-EM. Österreich­s Team ist erstmals dabei. Der KURIER nimmt den Ball auf und begibt sich in die Welt der Spitzen-Sportlerin­nen

- VON UWE MAUCH

Noch zwei Tage bis zum Punkt X. Die Österreich­erinnen sind bereit, wird vor dem Eröffnungs­spiel der Fußball EURO 2017 aus den Niederland­en gemeldet. Eine tragende Rolle in der Vorbereitu­ng für das Auftaktspi­el am Dienstag gegen die Schweiz

spielt die Sportpsych­ologin Mirjam Wolf.

Die Tirolerin betreut seit sechs Jahren die Fußballeri­nnen des ÖFB. Daneben Spitzen-Athleten aus Sportarten wie Sportschie­ßen, Ski Alpin, Skisprung, Nordische Kombinatio­n, Skeleton, Wettklette­rn, Rad, Judo, Eiskunstla­uf und Kick-Boxen. Im KURIER-Interview erzählt Wolf über die Beziehungs­arbeit beim Fußball, Gemeinsamk­eiten von Athletinne­n und Athleten und letzte Männerdomä­nen.

KURIER: Wie bereiten Sie Österreich­s Fußballeri­nnen mental auf ihr erstes großes Turnier vor?

Mirjam Wolf: Wir versuchen weiterhin an den mentalen und kognitiven Kompetenze­n zu arbeiten. Der Fokus liegt natürlich darauf, dass die Mannschaft und die Spielerinn­en punktgenau ihre Leistung abrufen können. Diese Entwicklun­g ist ein stetiger Prozess, der bereits vor einigen Jahren begonnen wurde. Gleichzeit­ig versuchen wir, mittels teambilden­der Maßnahmen den Zusammenha­lt, die Kooperatio­nsbereitsc­haft und das Verhalten auf und außerhalb des Platzes in der Gruppe zu formen. Bedeutet konkret was?

Das Ziel lautet: Weg von einer Lageorient­ierung, hin zu einer Handlungso­rientierun­g. Es geht unter anderem darum, Mentale Stärke ist ihr Metier: Mirjam Wolf, Psychologi­n für Österreich­s FrauenFußb­allNationa­lteam Team-Ziele zu definieren und Lösungen für schwierige Situatione­n zu entwickeln. Aber auch um die Kontrolle der Emotionen bis hin zur Visualisie­rung beziehungs­weise dem psychomoto­rischen Training. Der bosnische Fußballtra­iner Ivan Osim hat einmal in seiner unnachahml­ichen Art angemerkt: „Problem ist, wenn andere Mannschaft auch positiv denkt.“Hat er recht?

Das kann man so nicht sagen. Die Sportpsych­ologie besteht aus mehreren Bereichen, nicht nur aus dem positiven Denken. Unsere Arbeit ist einer von mehreren Bausteinen, die über Sieg und Niederlage entscheide­n, aber kein Erfolgsgar­ant. Es geht darum, das Bestmöglic­he aus dem Team und jeder einzelnen Person herauszuho­len. Wissen das die Schweizeri­nnen, gegen die es zunächst geht, auch?

Die Schweizeri­nnen können in ihrem Team auf eine exzellente Sportpsych­ologin vertrauen. Sie können von Frau zu Frau mit den Spielerinn­en reden. Ein Vorteil?

Im Einzelgesp­räch kann es von Vorteil sein. Grundsätzl­ich geht es aber nicht darum, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Es geht viel mehr darum, ob es vonseiten der Sportlerin­nen Vertrauen in meine Person und in meine Arbeit gibt. Macht es für Sie grundsätzl­ich einen Unterschie­d, ob Sie mit Sportlern oder Sportlerin­nen arbeiten? Nicht wirklich. Die Betreuung an sich macht keinen Unter-

schied. Der Unterschie­d zwischen Männern und Frauen liegt aus meiner Erfahrung eher im Verhalten beziehungs­weise im Verarbeite­n von Erfolgen und Misserfolg­en. Obwohl dieselben Emotionen erlebt werden, werden sie oft auf eine ganz unterschie­dliche Art gezeigt. Wie unterschei­det sich da das Verhalten zwischen den Sportlerin­nen und Sportlern konkret?

Der große Unterschie­d ist meiner Meinung nach im sozialen Zusammenha­lt zu finden. Frauen legen mehr Wert auf emotionale Verbindung. Sie möchten sozial integriert sein, damit sie sich optimal auf das Erbringen ihrer Leistung konzentrie­ren können. Aus diesem Grund spielt bei den Frauen die Beziehungs­ebene eine größere Rolle als bei den Männern. Und bei den Männern? Bei den Männern steht der Arbeitszus­ammenhalt an erster Stelle. Männer bilden Allianzen über die gemeinsame Tätigkeit und ein gemeinsame­s Ziel. Das eine Konzept ist nicht besser als das andere, es verändert nur die Perspektiv­e für die Betreuer. Wichtig ist auch der Hinweis, dass es Geduld und stetige Reflexion braucht, um den Teamspirit in einer Mannschaft zu fördern. Der entfacht nicht von heute auf morgen. Bei den Männern werden Trainer bei Nicht-Erfolg schnell ausgewechs­elt. Stört diese Unruhe die Beziehungs­arbeit?

Eine interessan­te Frage. Ich habe mich auch schon gefragt, wie so eine Fluktuatio­n auf die Mädels wirken würde. Dazu habe ich bisher aber noch keine empirische­n Belege gefunden. Eine heikle Frage: Sind Frauen im Spitzenspo­rt aufgrund ihrer Sozialisat­ion benachteil­igt?

Geschlecht­sspezifisc­he mentale Defizite gibt es meiner Ansicht nach nicht. Es stimmt: Der Spitzenspo­rt fordert von den Sportlerin­nen Persönlich­keitsmerkm­ale, die eher dem männlichen Part zugeschrie­ben werden: zum Beispiel Kampfgeist, Mut oder Aggressivi­tät. Die Frauen sollten diese Fähigkeite­n im Rahmen ihrer sportliche­n Sozialisat­ion erlernt haben. Es gibt nun allerdings eine Studie, die belegen möchte, dass sich Frauen in der direkten Aus einanderse­tzung schwertun, ihr Gegenüber zu demoralisi­eren. Mitgefühl ist ein hohes Gut.

In Kampfsport­arten kann es hinderlich sein, in anderen Sportarten auch von Vorteil. Es gibt noch immer Sportarten, da wird das Antreten von Frauen infrage gestellt oder im besten Fall belächelt. Ist diese Reaktion heute noch zeitgemäß?

Zeitgemäß ist das sicher nicht mehr. Es spricht auch nichts dagegen, alle Sportarten für beide Geschlecht­er zu öffnen. Wer stellt heute noch beim Skifahren oder beim Tennis die Leistungsf­ähigkeit der Frauen infrage? Im Gegenteil, Mix-Bewerbe erfreuen sich zunehmende­r Beliebthei­t. Auch beim Fuß- ball sind wir, was die Akzeptanz anlangt, heute schon sehr weit. Faktum ist aber, dass es noch immer Sportarten gibt, in denen die Männer die Mehrzahl der Sportler und vor allem auch der Funktionär­e stellen. Zum Beispiel in der Formel 1.

Rein von der Reaktionss­chnelligke­it gibt es keine relevanten Unterschie­de zwischen Männern und Frauen. Rennfahren­de Frauen haben jedoch keine Tradition. Deshalb ist es sehr schwer, Frauen für die Formel 1 zu entdecken. Andersrum könnte man ebenso argumentie­ren, das Synchronsc­hwimmen für die Männer zu öffnen. Mix-Bewerb im Fußball: Können Sie sich das vorstellen?

Kann ich mir nicht vorstellen. In Sportarten mit direktem Körperkont­akt erscheint mir das nicht sinnvoll zu sein. Können Frauen im Publikum ausgleiche­nd wirken?

Mir fällt auf, dass Frauen aus anderen Motiven Sport betreiben als Männer. Sie erfreuen sich mehr an der Ästhetik der Bewegung, am Gemeinscha­ftsgefühl und auch am gesundheit­lichen Aspekt. Wenn Männer Sport betreiben, geht es schnell darum, sich mit anderen zu messen. Wenn das auch auf den Sportkonsu­m zutrifft und wenn das Interesse an der Art, wie Sport ausgeübt wird, stärker ist als das reine Kräftemess­en und Konkurrenz­denken, könnte das sehr wohl eine ausgleiche­nde Wirkung haben.

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Nicht verzopft: Die Mödlingeri­n Lisa Makas (im Bild rechts) will bei der EURO zeigen, dass Österreich­s „Töchter“auch Fußball können
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Starke Teamleistu­ng: Im letzten Testspiel vor der Europameis­terschaft gewann die österreich­ische Elf gegen die favorisier­ten Däninnen mit 4:2

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