Kurier

Erdoğan-Provokatio­n statt stillem Gedenken

Türkei. Der Präsident feierte und teilte aus

- – B. BALTACI, C. BÖHMER

Er will allen Verrätern den Kopf abreißen lassen – in einer Brandrede rechnete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Jahrestag des Putschvers­uchs mit seinen Gegnern ab und sprach sich erneut für die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e aus. Der türkische Staatschef ließ vor seinen Anhängern auch keinen Zweifel daran, dass er keine großen Wert auf einen EU- Beitritt legt: „Was Hans und George dazu sagen“, sei ihm egal, spielte er auf Deutschlan­d und Großbritan­nien an. Auch in Österreich gedachten Türken des Putschvers­uchs. In Wien-Liesing war dabei ursprüngli­ch der Auftritt des Vizepräsid­enten von Erdoğans AKP angekündig­t. Hamza Dağ kam nicht, dafür begab sich der KURIER zu einem Lokalaugen­schein.

An den meisten Sonntagen ist die Liesinger Eitnergass­e das, was man in Wien ein totes Eck’ nennt. Speditione­n und Umzugsunte­rnehmen betreiben hier Verteilerz­entren und Garagen; Es gibt eine Firma für Pumpsystem­e, eine andere verpackt Tee, kurzum: Wir sind in einer unspektaku­lären Industriez­one, in der sonntags kaum jemand auf der Straße ist.

Es gibt aber auch andere Sonntage. Das sind die, an denen im „Etap“etwas los ist. Das Veranstalt­ungszentru­m steht mitten in der Eitnergass­e, und es hat sich als Event-Location einen Namen gemacht: Türkische Hochzeitsg­esellschaf­ten zelebriere­n hier ihre Feiern. Vor Jahren war sogar Sebastian Kurz zu Gast – die Islamische Glaubensge­meinschaft lud damals zum Fastenbrec­hen.

An diesem Sonntag geht’s freilich nicht ums Heiraten oder den Ramadan, es geht um Politik. Um türkische Politik. Und vielleicht ist deshalb die Stimmung ein wenig, na sagen wir: besonders. Was geschieht? Analog zu Erdoğans Gedenkfeie­rn in der Türkei ( siehe

Seite 5) lädt auch die Union Europäisch-türkischer Demokraten, kurz UETD, zu einer Gedenkfeie­r an den türkischen Putsch vor einem Jahr.

Das Treffen hatte vorab für Verwirrung gesorgt: Der türkische Wirtschaft­sminister wollte kommen – wurde aber vom Außenminis­terium ausgeladen.

Hamza Dağ, Vizepräsid­ent der Regierungs­partei AKP und Abgeordnet­er, wollte nach einer Rede in Nürnberg ebenfalls in Wien zu AKP-Fans sprechen. Doch auch Dağ sagte ab; dafür kamen gestern Ex-EU-Mandatar Ozan Ceyhun und UETDChef Zafer Sırakaya.

Die Polizei baute vor: Fünf Einsatzbus­se parkten in der Nähe des Veranstalt­ungszentru­ms, Streifen fuhren im Schritttem­po in den Gassen.

Und schließlic­h, und damit sind wir bei einem der zentralen Punkte, sorgt auch die UETD für „Sicherheit“: Bei der Eingangstü­r kontrol- lieren Männer in schwarzen Anzügen, dass nur geladene Gäste in den Saal kommen. Manche von ihnen tragen den Halbmond am Revers.

Journalist­en sind während der Veranstalt­ung ausdrückli­ch nicht willkommen.

Bis zum Beginn, als die Gäste eintrudeln, dürfen ausgesucht­e Kamerateam­s kurz in den Saal, ein schneller Blick auf die rund 200 Gäste.

Dann aber, bei den Reden, sollen Medien besser nicht dabei sein. „Ihr macht ja doch alle nur Fake News“, ätzt ein UETD-Sympathisa­nt.

Anfeindung­en

Was den KURIER angeht, wird sehr schnell sehr klar, dass die Reporter an der Türschwell­e maximal geduldet sind – die Kritik an Erdoğan, seiner Politik und dem Verhalten mancher in Österreich agierender Türkei-Verbände ist Grund für offene Anfeindung­en.

„Sie sind Terror-Sympathisa­nten! Allein, dass Sie da sind, ist eine pure Provokatio­n“, wirft ein UETDSprech­er den KURIER-Reportern an den Kopf. Nicht viel besser ergeht es den Kamerateam­s, die Besucher beim Eingang interviewe­n wollen.

„Sprecht nicht mit denen, mit denen gibt’s nichts zu reden“, blaffen die Anzugträge­r die Besucher an. Auf Türkisch, damit’s nicht so auffällt. Und die Besucher gehorchen, huschen ins Innere.

Es ist, so darf man das wohl sagen, einigermaß­en ernüchtern­d, dass alle Versuche, ins Gespräch zu kommen, misslingen.

„Sind Sie denn von Herrn Aktas akkreditie­rt?“, antwortet UETD-Boss Zafer Sırakaya auf die Frage, ob er ein Interview geben würde. Ist man nicht, denn: Herr Aktas, das war genau der, der die Journalist­en als „Terror-Sympathisa­nten“bezeichnet hat.

Es gibt nur einen Moment an diesem Abend, an dem die schwarzen Anzugträge­r noch überrasche­nd freundlich werden. Es ist der Moment, als die letzten Fotografen unverricht­eter Dinge abziehen.

„Tschüss!“, rufen sie den Journalist­en nach. Es klingt freundlich, nicht zynisch. So, als wäre gar nichts passiert.

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Zur Gedenkfeie­r der UETD kamen etwa 300 Gäste. Für Reporter gab es allerdings keinen Zutritt
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Einsatzbus­se parkten in der Nähe des Veranstalt­ungszentru­ms

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