Kurier

Kein Zögern bei der Todesstraf­e

Unversöhnl­ich und provokant: Präsident Erdoğan rechnete am Jahrestag des Putschvers­uchs mit Gegnern ab

- VON SANDRA LUMETSBERG­ER

Erdoğan entkam in der Nacht zu Sonntag kaum jemand. Kurz nach Mitternach­t erhielten zahlreiche Handynutze­r bei Anrufen zunächst eine aufgezeich­nete Nachricht zum Jahrestag des Putschvers­uchs – vom Staatschef höchstpers­önlich. „Als Ihr Präsident gratuliere ich Ihnen am 15. Juli zum Tag der Demokratie und der Nationalen Einheit. Möge Gott Erbarmen mit unseren Märtyrern haben. Ich wünsche unseren Veteranen Gesundheit und Wohlbefind­en“, sagte die Handy-Stimme.

Doch nicht nur übers Mobilnetz wandte sich der Staatschef an das türkische Volk. Bei Gedenkfeie­rn sowie nächtens im Parlament sprach er zu seinen Anhängern. In harter Tonalität rechnete er mit den Putschiste­n und deren Hintermänn­ern, die er in der GülenBeweg­ung verortet, ab: „Diesen Verrätern werden wir zuerst die Köpfe abreißen.“Zudem forderte er die Bürger auf, mutmaßlich­e GülenAnhän­ger anzuzeigen: „Jeder soll sagen, was er weiß.“

EU-Kritik egal

Nicht nur damit heizte Erdoğan den Massen ein. Der Präsident sprach sich erneut für die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e aus. Einem Gesetz würde er sofort zustimmen: „Wenn es ins Parlament kommt – und ich glaube daran –, und wenn es vom Parlament verabschie­det wird und zu mir kommt, werde ich das ohne Zögern bewilligen“, sagte er. Daran könne ihn auch die Europäisch­e Union nicht hindern, wie er mit einer Anspielung auf Deutschlan­d und Großbritan­nien betonte: „Und ich persönlich achte nicht darauf, was Hans und George dazu sagen. Ich achte darauf, was Ahmet, Mehmet, Hasan, Hüseyin, Ayse, Fatma und Hatice sagen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Erdoğan mit der Todesstraf­e provoziert. Würde er sie wirklich einführen wollen, müsste er die Verfassung än- dern. Die Beitrittsv­erhandlung­en mit der EU wären dann vorbei. Das bestätigte auch Kommission­spräsident Jean Claude-Juncker: „Sollte die Türkei die Todesstraf­e einführen, würde die türkische Regierung die Tür zu einer EU-Mitgliedsc­haft endgültig zuschlagen.“Die Gespräche liegen seit einem Jahr auf Eis. Zu massiv seien die Verstöße gegen Menschenre­chte und Pressefrei­heit.

Die zwei größten Opposition­sparteien, die CHP und HDP, blieben Erdoğans Ansprache im Parlament fern, weil sie keine Redezeit bekamen. Sie kritisiert­en, dass er den Ausnahmezu­stand miss- braucht, um seine Macht auszubauen. Er regiert derzeit mit Notstandsd­ekreten, die nicht vor dem Verfassung­sgericht angefochte­n werden können. Mehr als 150.000 Staatsbedi­enstete ließ er per Erlass suspendier­en, da sie Verbindung­en zur GülenBeweg­ung hätten. Weitere 50.000 Menschen sitzen in U-Haft, darunter auch die Direktorin von Amnesty Internatio­nal Türkei. Erdoğan hat scheinbar vergessen, dass sich die Organisati­on einst 1999 für ihn einsetzte, als er wegen einer hetzerisch­en Rede ins Gefängnis musste. Damals war die Türkei noch vom Säkularism­us des Staatsgrün­ders Atatürk geprägt. Und sie wurde gerade zum EU-Beitrittsk­andidaten ernannt.

Samstagnac­ht ließ der Staatschef mit seinen Worten keinen Zweifel daran, dass er darauf nicht mehr viel setzt.

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Zwischen Abenddämme­rung und Morgengrau­en: Gleich drei Mal sprach Recep Tayyip Erdoğan am Jahrestag zu seinen Anhängern
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Zehntausen­de zogen zur „Brücke der Märtyrer“, die Putschiste­n vor einem Jahr besetzt hatten. Der Präsident enthüllte dort ein Denkmal
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