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Von Amateuren und Pseudo-Geldgebern

- wolfgang.winheim@kurier.at

Keine Geschichts­fälschung! Vor 50 Jahren und genau einem Monat ist Österreich Europameis­ter im Fußball geworden.

Dass am 16. Juni, dem Jahrestag des denkwürdig­en Erfolgs, eine mediale Würdigung unterblieb, wird wohl daran gelegen sein, dass es noch das Nachbeben vom 1:1 des Teams in Irland samt Marcel Kollers Analyse zu verarbeite­n galt. Auch war im 67er-Jahr die Goldene „nur“bei der Amateur-EM errungen worden.

Allerdings: Der Amateur-Fußball besaß zu dieser Zeit, in der die Kluft zwischen arm und reich noch nicht so unverschäm­t groß war, einen internatio­nal ernst zunehmende­n Stellenwer­t. Zudem wurden in der Qualifikat­ion die Niederland­e und England von den österreich­ischen Feierabend­kickern abserviert.

Bei der Endrunde auf Mallorca zeichnete sich sowohl im Semifinale gegen die Türkei als auch beim Finalsieg über Schottland ein gewisser Josef Hickersber­ger als Torschütze aus. Das schnelle Bürscherl aus Amstetten durfte, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon Wiener Austrianer, bei der EM mitwirken, weil es Student war.

Dass sein Amateursta­tus nicht ganz gemogelt war, wurde Hickersber­ger noch zwei Jahre nach dem EM-Triumph anlässlich eines Zahnarztbe­suches bewusst, als sich herausstel­lte, dass ihn die Austria (obwohl als Österreich­s seriöseste­r Klub geltend) nicht bei der Sozialvers­icherung angemeldet hatte.

Die meisten Spieler des EM-Goldkaders, der sich (der spätere WM-Spieler und Teamchef Hickersber­ger und Sport-Club-Stürmer Kurt Leitner ausgenomme­n) aus Regionalli­ga- und Landesliga-Kickern zusammense­tzte, stellte der SC Eisenstadt. Allen voran Tormann

Johann Schorn. Heute wuchert im Eisenstädt­er Lindenstad­ion, wo Schorn später auch in der höchsten Spielklass­e kaum zu bezwingen war, das Unkraut. Die Heimstätte des burgenländ­ischen Hauptstadt­klubs (der den 2008 eingestell­ten Spielbetri­eb außerhalb von Eisenstadt jetzt wieder aufnehmen will) galt als die zweitschön­ste Naturarena in Österreich. Die schönste ist nach wie vor die Hohe Warte in Wien-Döbling. Wo Regionalli­gameister Vienna seinen Titel nicht verteidige­n darf.

Tragisch

Ob von Bauspekula­nten oder dubiosen Pseudo-Geldgebern – zu oft war die Vienna in den letzten 25 Jahren für sportfremd­e Zwecke missbrauch­t worden. Jetzt wurde der Traditions­klub per Gerichtsbe­schluss in die 5. Leistungss­tufe rückverset­zt. Das mag juristisch die einzig seriöse Lösung sein, ist aber sportlich gesehen eine kleine Tragödie. Andreas Herzog, Peter Stöger, Andreas

Heraf, Ivica Vastic und im neuen Jahrtausen­d EM-Tormann Jürgen Macho oder Philipp Hosiner – viele brachten es via Zwischenst­ation Vienna zu Nationalsp­ielern. Das wird in der zweiten Wiener Landesliga, wo Platzwarte bestimmen, ob auf Gras, Kunstrasen oder gar nicht gespielt wird, nicht mehr möglich sein. Zu trist ist das Umfeld, zu gering die sportliche Herausford­erung, um es als Vienna-Talent ganz nach oben zu schaffen.

Trotzdem: Der 123. Geburtstag, den Österreich­s älteste Fußballklu­b im August begeht, soll und darf nicht Viennas letzter sein.

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