Von der Fliege im Fliegenglas Ludwig Wittgenstein.
Der Philosoph ist ein Fixpunkt, wenn Wien 2018 die Moderne groß feiert
Spurensuche im hohen Norden nach dem vielleicht bedeutendsten österreichischen Denker des 20. Jahrhunderts. Einem Mann von besonderem Ruf, über dessen Ankunft in Cambridge John Maynard Keynes Anfang 1929 sagte: „Gott ist angekommen. Ich traf ihn im FünfUhr-Fünfzehn-Zug.“
Exzentrisch
Ludwig Wittgenstein (1889– 1951), Millionenerbe eines schwerreichen Stahlindustriellen, ein Grübler und Zweifler, ein Sonderling, der mit Schafen und Kühen sprach, kein verrücktes Genie, aber ein hypersensibler, innerlich zerrissener und zeitweise depressiver Mensch.
„Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zu zeigen“sei das Ziel seiner Philosophie, so Wittgenstein. Sein Credo war: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
Österreich in Norwegen
Norwegen war für ihn das Land der Ruhe und der Zuf lucht. Die erste Urlaubsreise 1913 brachte ihn auf die Idee, dort für einige Zeit zu bleiben, um an seinen philosophischen Theorien zu arbeiten und dem für ihn belastenden Universitätsalltag zu entfliehen.
Und dass Österreich im Südwesten Norwegens am Ende des mehr als 200 Kilometer langen Sognefjord liegt, kam so: Dort hatte sich der Philosoph mit dem übergroßen Bedürfnis nach Einsamkeit rund 30 Meter über dem See Eidsvatnet gegen- über von Skjolden, einem 300-Seelen-Dorf, nach eigenen Plänen ein Holzhaus bauen lassen.
Die Ortsbewohner nannten das Refugium Østerrike: „Österreich“. Er genoss den „stillen Ernst“der norwegischen Fjordlandschaft und arbeitete dort, fernab des Universitätsbetriebs, außer an den „Philosophischen Untersuchungen“vor allem an seiner Logisch-Philosophischen Abhandlung: Das Werk, 1921 erschienen, erlangte unter dem Titel „Tractatus logico-philosophicus“Weltruhm und beeinflusste zahlreiche Werke der Literatur, Musik, Malerei, Architektur und des Films.
In Skjolden, 2500 km von Wien, 350 km von Oslo und 250 km von Bergen entfernt, wo es übrigens an der Universität eine Wittgenstein-Forschungsstelle gibt, lebte er als Einsiedler asketisch und spartanisch. Nur einmal in der Woche ruderte er mit dem Boot von seinem Haus über den See ins Dorf zum Einkaufen. Im Winter ging er in Schneeschuhen über den gefrorenen See.
„Als ich übrigens in Norwegen war, im Jahre 191314, hatte ich eigene Gedanken, so scheint es mir jetzt wenigstens“, schrieb der oft von Selbstzweifeln geplagte Wittgenstein. „Ich meine, es kommt mir so vor, als hätte ich damals in mir neue Denkbewegungen geboren (aber vielleicht irre ich mich). Während ich jetzt nur mehr alte anzuwenden scheine.“Er lieferte bedeutende Beiträge zur Philosophie der Logik, der Sprache und des Bewusstseins. Und prägte den viel zitierten Satz: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“Die vordringlichste Aufgabe der Philosophie müsse es sein, unsere Sprache und ihre Funktionsweise zu verstehen. Denn so verstehen wir zugleich, was über die Welt überhaupt zu verstehen ist.
Wittgensteins große Bedeutung vor allem außerhalb der akademischen Zirkel auf Kunst und Kultur werde noch immer unterschätzt, heißt es in Fachkreisen.
Und Wittgenstein selbst fand: „Die Arbeit an der Philosophie ist – wie vielfach die Arbeit in der Architektur – eigentlich mehr die/eine Arbeit an Einem selbst. An der eigenen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht (Und was man von ihnen verlangt).“
Sigmund Freud hat schon ein Museum und Arnold Schönberg ein Center in Wien. „Wie sie soll hier in Zukunft auch Wittgenstein sichtbar, greif bar und präsent sein“, wünscht sich Radmila Schweitzer von der Wittgenstein-Initiative.
Tractatus-Odyssee
„Ein erster Schritt dazu wäre – mit Zugang zu allen Quellen weltweit – eine permanente Ausstellung, die eventuell auch nach Norwegen und England exportiert werden könnte. Möglichst mit Unterstützung von der Stadt Wien und dem Bund.“
2018 feiert Wien die Moderne unter dem Motto „Schönheit und Abgrund“. Denn 100 Jahre zuvor starben mit Gustav Klimt, Egon Schiele, Otto Wagner und Koloman Moser vier Protagonisten der Wiener Moderne.
Aber neben anderen Persönlichkeiten wird auch Wittgenstein im Mittelpunkt einer Ausstellung stehen: „Die Tractatus-Odyssee“(15.10. bis 30. 11. 2018) im „Haus Wittgenstein“, seit 1975 im Besitz der Republik Bulgarien und Heimat des Bulgarischen Kulturinstituts, wird das Leben des Philosophen mit Originaldokumenten und die Entstehung des Tractatus sowie dessen Wirkung auf die Kulturgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts nachzeichnen.