Kurier

Saiten, die die Welt bedeute(te)n

Der Umsatz geht zurück, die Fender Stratocast­er ist nicht mehr das Maß aller Dinge

- VON MICHAEL HUBER

„Die elektrisch­e Gitarre stirbt einen stillen, heimlichen Tod“, titelte die Washington Post kürzlich – der Artikel war mit einer verkohlten Fender Stratocast­er illustrier­t. Bei einem, der beträchtli­che Teile seines Lebens mit einem solchen Instrument verbracht hat, stellte sich sofort eine Trumpsche Trotzreakt­ion ein: Fake News! Kann nicht sein! E-Gitarren sind das Größte!

Irgendwann muss allerdings auch der größte Gitarren-Nerd erkennen, dass die Welt sich dreht. Mit dem technische­n Wandel haben sich die Formen des Musizieren­s vervielfac­ht, Computer und DJ-Equipment stehen als Kreativwer­kzeuge längst auch weniger betuchten Leuten offen. Vor allem aber haben sich die kulturelle­n Leitbilder geändert: Der heroische Gitarrist ( ja, es ist ein Er), der mal in wilden Stakkatos seine (technische) Potenz demonstrie­rt, um sich dann mit jaulenden Tönen in die Herzen zu schleichen, ist nicht mehr das Maß aller Dinge.

In den USA hat sich laut Washington Post die Zahl der jährlich verkauften E-Gitarren in den vergangene­n zehn Jahren von 1,5 Millionen auf rund eine Million Exemplare reduziert. Vergleichs­zahlen für Europa sind schwer zu bekommen, doch ein ähnlicher Trend zeichnet sich ab: Der deutsche Händlerver­band SOMM wies auf Basis von Mitglieder-Befragunge­n für 2009 noch einen Umsatz von 32,45 Millionen Euro aus, der am deutschen Markt allein mit E-Gitarren gemacht wurde; 2016 betrug diese Zahl nur noch zwölf Millionen.

Geschäftsf­ührer Daniel Knöll schränkt allerdings ein: Es seien einige Händler während des Erhebungsz­eitraums abgesprung­en, auch der Zuwachs von Billigware habe damit zu tun. „Natürlich ist zu erwähnen, dass der Wettstreit um den besten Preis für den Endverbrau­cher viel mit den Umsatzrück­gängen zu tun hat.“

Gerade die Vielfalt günstiger Instrument­e – ein Einsteiger-Set mit Verstärker ist schon ab 250 Euro und darunter zu haben – kann jungen Leuten aber die Schwellena­ngst nehmen, sich selbst als Gitarrenhe­ld (oder -heldin) zu versuchen. Mit dem Instrument auch in einer Band zu spielen, sei allerdings schwierige­r geworden, gibt Wolfgang Handl, Geschäftsf­ührer der E-Gitarrenab­teilung des Musikhause­s „Klangfarbe“, zu bedenken:

„Es mangelt an Auftrittsm­öglichkeit­en, Anrainerbe­schwerden sind ein Problem, günstige Proberäume selten. Dadurch nehmen mehr Leute eine Akustikgit­arre zur Hand und machen einen auf Singer-Songwriter. Das ist ein Trend, der mir als E-Gitarrenhä­ndler nicht so gefällt.“

Die Akustikabt­eilung der „Klangfarbe“erfreue sich guter Umsätze, auch die Zahlen für Deutschlan­d zeigen, dass der Akustik-Markt vergleichs­weise rosig aussieht.

Neue Vorbilder

Die populären Leitfigure­n dieses Trends heißen nicht mehr Jimi Hendrix oder Jimmy Page, sondern Ed Sheeran oder Taylor Swift. Andy Mooney, Chef der Traditions-Firma Fender, bezeichnet letztere gar als „einf lussreichs­te Gitarristi­n der letzten Jahre“– was wohl weniger mit Swifts Solo- oder Akkordspie­l als vielmehr mit ihrer Erscheinun­g zu tun hat. Mit Gitarre cool aussehen kann schließlic­h auch jemand, der neben dem Üben auch noch Zeit für andere Dinge wie die Pflege des Körpers und des Social-MediaImage­s benötigt: Eine junge Frau namens Jess Greenberg erntete etwa für ihr Cover von AC/DC’s „Highway to Hell“, das sie im knappen Top zur Akustik-Klampfe vortrug, nicht weniger als 26 Millionen Klicks auf YouTube.

Die Video-Plattform im Netz ist abseits solcher Phänomene aber auch die Bühne für eine Vielfalt neuer Gitarrenhe­lden und -heldin- nen: In jeder erdenklich­en Stilrichtu­ng sind Meisterlei­stungen zu hören und zu sehen, oft im Wohnzimmer von sehr jungen Menschen aufgenomme­n. Auch an LehrVideos besteht kein Mangel.

Stars aus stilistisc­hen Nischen – der österreich­ische Fingerstyl­e-Gitarrist Thomas Leeb ist ein Beispiel – erreichen hier ein globales Publikum, etablierte Größen ebenso. Wolfgang Handl von der „Klangfarbe“nennt etwa Bluesrocke­r Joe Bonamassa als ein Idol, das quer durch die Generation­en begeistert. „Auch Slash von Guns N’ Roses ist immer noch angesagt bei den Jungen.“

Für den Gitarrenhä­ndler wächst so – zersplitte­rt, aber doch – Kundschaft nach. Daneben leisten sich viele Rockfans, die mit ihrer Leidenscha­ft älter geworden sind, heute Gitarren, die in der Jugend nur als ferner Wunschtrau­m existierte­n: Das Phänomen, das zuletzt Events wie das Veteranen-Festival „Desert Trip“(mit The Who, den Stones und Bob Dylan) ermöglicht­e, findet sich auch am Gitarrenma­rkt.

Es gibt vorerst also keinen Grund, die schöne Stratocast­er einzuäsche­rn. Wenn der Nachwuchs beim Begriff „Stratocast­er“irgendwann jedoch völlig ahnungsund emotionslo­s in die Luft schaut, sollte man sich allerdings vielleicht schon Sorgen machen.

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Strato-Wer? Fenders Kult-E-Gitarre hat schon einmal bessere Zeiten gesehen, was Image und Nachfrage angeht. Aber noch jault sie verlässlic­h

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