Saiten, die die Welt bedeute(te)n
Der Umsatz geht zurück, die Fender Stratocaster ist nicht mehr das Maß aller Dinge
„Die elektrische Gitarre stirbt einen stillen, heimlichen Tod“, titelte die Washington Post kürzlich – der Artikel war mit einer verkohlten Fender Stratocaster illustriert. Bei einem, der beträchtliche Teile seines Lebens mit einem solchen Instrument verbracht hat, stellte sich sofort eine Trumpsche Trotzreaktion ein: Fake News! Kann nicht sein! E-Gitarren sind das Größte!
Irgendwann muss allerdings auch der größte Gitarren-Nerd erkennen, dass die Welt sich dreht. Mit dem technischen Wandel haben sich die Formen des Musizierens vervielfacht, Computer und DJ-Equipment stehen als Kreativwerkzeuge längst auch weniger betuchten Leuten offen. Vor allem aber haben sich die kulturellen Leitbilder geändert: Der heroische Gitarrist ( ja, es ist ein Er), der mal in wilden Stakkatos seine (technische) Potenz demonstriert, um sich dann mit jaulenden Tönen in die Herzen zu schleichen, ist nicht mehr das Maß aller Dinge.
In den USA hat sich laut Washington Post die Zahl der jährlich verkauften E-Gitarren in den vergangenen zehn Jahren von 1,5 Millionen auf rund eine Million Exemplare reduziert. Vergleichszahlen für Europa sind schwer zu bekommen, doch ein ähnlicher Trend zeichnet sich ab: Der deutsche Händlerverband SOMM wies auf Basis von Mitglieder-Befragungen für 2009 noch einen Umsatz von 32,45 Millionen Euro aus, der am deutschen Markt allein mit E-Gitarren gemacht wurde; 2016 betrug diese Zahl nur noch zwölf Millionen.
Geschäftsführer Daniel Knöll schränkt allerdings ein: Es seien einige Händler während des Erhebungszeitraums abgesprungen, auch der Zuwachs von Billigware habe damit zu tun. „Natürlich ist zu erwähnen, dass der Wettstreit um den besten Preis für den Endverbraucher viel mit den Umsatzrückgängen zu tun hat.“
Gerade die Vielfalt günstiger Instrumente – ein Einsteiger-Set mit Verstärker ist schon ab 250 Euro und darunter zu haben – kann jungen Leuten aber die Schwellenangst nehmen, sich selbst als Gitarrenheld (oder -heldin) zu versuchen. Mit dem Instrument auch in einer Band zu spielen, sei allerdings schwieriger geworden, gibt Wolfgang Handl, Geschäftsführer der E-Gitarrenabteilung des Musikhauses „Klangfarbe“, zu bedenken:
„Es mangelt an Auftrittsmöglichkeiten, Anrainerbeschwerden sind ein Problem, günstige Proberäume selten. Dadurch nehmen mehr Leute eine Akustikgitarre zur Hand und machen einen auf Singer-Songwriter. Das ist ein Trend, der mir als E-Gitarrenhändler nicht so gefällt.“
Die Akustikabteilung der „Klangfarbe“erfreue sich guter Umsätze, auch die Zahlen für Deutschland zeigen, dass der Akustik-Markt vergleichsweise rosig aussieht.
Neue Vorbilder
Die populären Leitfiguren dieses Trends heißen nicht mehr Jimi Hendrix oder Jimmy Page, sondern Ed Sheeran oder Taylor Swift. Andy Mooney, Chef der Traditions-Firma Fender, bezeichnet letztere gar als „einf lussreichste Gitarristin der letzten Jahre“– was wohl weniger mit Swifts Solo- oder Akkordspiel als vielmehr mit ihrer Erscheinung zu tun hat. Mit Gitarre cool aussehen kann schließlich auch jemand, der neben dem Üben auch noch Zeit für andere Dinge wie die Pflege des Körpers und des Social-MediaImages benötigt: Eine junge Frau namens Jess Greenberg erntete etwa für ihr Cover von AC/DC’s „Highway to Hell“, das sie im knappen Top zur Akustik-Klampfe vortrug, nicht weniger als 26 Millionen Klicks auf YouTube.
Die Video-Plattform im Netz ist abseits solcher Phänomene aber auch die Bühne für eine Vielfalt neuer Gitarrenhelden und -heldin- nen: In jeder erdenklichen Stilrichtung sind Meisterleistungen zu hören und zu sehen, oft im Wohnzimmer von sehr jungen Menschen aufgenommen. Auch an LehrVideos besteht kein Mangel.
Stars aus stilistischen Nischen – der österreichische Fingerstyle-Gitarrist Thomas Leeb ist ein Beispiel – erreichen hier ein globales Publikum, etablierte Größen ebenso. Wolfgang Handl von der „Klangfarbe“nennt etwa Bluesrocker Joe Bonamassa als ein Idol, das quer durch die Generationen begeistert. „Auch Slash von Guns N’ Roses ist immer noch angesagt bei den Jungen.“
Für den Gitarrenhändler wächst so – zersplittert, aber doch – Kundschaft nach. Daneben leisten sich viele Rockfans, die mit ihrer Leidenschaft älter geworden sind, heute Gitarren, die in der Jugend nur als ferner Wunschtraum existierten: Das Phänomen, das zuletzt Events wie das Veteranen-Festival „Desert Trip“(mit The Who, den Stones und Bob Dylan) ermöglichte, findet sich auch am Gitarrenmarkt.
Es gibt vorerst also keinen Grund, die schöne Stratocaster einzuäschern. Wenn der Nachwuchs beim Begriff „Stratocaster“irgendwann jedoch völlig ahnungsund emotionslos in die Luft schaut, sollte man sich allerdings vielleicht schon Sorgen machen.