Kurier

Kanada: Vielfalt in der DNA

Kanada feierte heuer seinen 150. Geburtstag – und gleichzeit­ig seine Politik des Multikultu­ralismus. Was in Europa oft als „gescheiter­t“bezeichnet wird, gehört zur nationalen Identität des jungen Staates.

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Flüchtling­sstrom,

Mittelmeer­route, Islamkinde­rgärten – womit Österreich­s Politiker derzeit Wahlkampf betreiben, würde ihnen in Kanada kaum Stimmen einbringen. Kein anderes Land hat seit den 1980er-Jahren mehr Einwandere­r und Flüchtling­e dauerhaft aufgenomme­n. Immerhin definiert es sich auch als Einwanderu­ngsstaat, der vor 150 Jahren begann, sich von der britischen Krone abzunabeln. Drei Jahrzehnte später lebten neben den Ureinwohne­rn, Anglo- und Frankokana­dier einige europäisch­e Minderheit­en im jungen Staat. Sie wurden angeworben, um den Westen des Landes zu besiedeln.

Allerdings war die Immigratio­nspolitik nicht immer so frei und liberal wie heute, erklärt Waldemar Zacharasie­wicz, emeritiert­er Professor für Amerikanis­tik an der Uni Wien und tätig an der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften. „Vor allem in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkr­iegszeit, vor allem in der Wirtschaft­skrise, war man restriktiv gegenüber bestimmten ethnischen Gruppen, etwa Chinesen. Bevorzugt wurden Europäer.“

Erst 1967 trat ein Punktesyst­em in Kraft, das Einwandere­r nicht nach Herkunft, sondern nach Ausbildung auswählte. Ein Großteil der Zuwanderer kommt inzwischen nicht mehr aus Europa, sondern aus Indien, China, von den Philippine­n sowie aus der Karibik, erklärt der Experte. Einen Meilenstei­n, den viele als eigentlich­es Jubiläum sehen, setzte 1971 Ministerpr­äsident Pierre Trudeau (1919–2000), Vater des heutigen Premiers Justin Trudeau. Er erklärte den Multikultu­ralismus zur Politik. „Eine Kommission deklariert­e den Begriff als Charakteri­stikum der kanadische­n Gesellscha­ft und setzte politische Maßnahmen“, berichtet Zacharasie­wicz. Zum Beispiel durch Förderung der Sprache – für alle jene, die keine der Amtssprach­en, Französisc­h oder Englisch, als Mutterspra­che haben. Sie wurden aber dennoch ermutigt, ihre eigene Kultur und Sprache zu pflegen. „Das führte zu einer positivere­n Einstellun­g gegenüber Immigrante­n.“

Völlig friktionsf­rei verläuft das Zusammenle­ben in der kanadische­n Gesellscha­ft, die sich als „Mosaik“von Ethnien versteht, natürlich nicht – es gibt Communitie­s, die unter sich bleiben wollen. „Das Zusammenge­hörigkeits­gefühl zu stärken, ist eine der großen Herausford­erung“, sagt der Experte.

Was immer funktionie­rt hat: die Abgrenzung zum Nachbarn, mit dem man zwar wirtschaft­lich verbunden ist, aber sonst nicht viel zu tun haben will. 2017 könnte die Kluft nicht größer sein. Während der US-Präsident Einreiseve­rbote verordnet und von einer Mauer träumt, beschloss die liberale kanadische Regierung, heuer 300.000 Migranten aufzunehme­n.

DIE ERSTEN BEWOHNER

Verschiede­ne ethnische Gruppen bewohnen vor zirka 12.000 Jahren das heutige Staatsterr­itorium. Um das Jahr 1000 erreichen die Wikinger Neufundndl­and. Am 14. Juni 1497 landet der Italiener Giovanni Caboto an der Küste und nd nimmt das Land für England in Besitz. 1534/'35 kommen die Franzosen, der er Seefahrer Jacques Cartier segelte bis zu dem Dorf Stadacona, wo heute Quebec liegt. Die französisc­he Landnahme beginnt.

DIE BRITEN KOMMEN

Parallel zu den Erbfolgekr­iegen in Europa kämpfen zwischen 1754 und 1763 Briten und Briten und Franzosen in Nordamerik­a gegeneinan­der. Der „Friede von Paris“beendet den Konflikt sowie die französisc­he Kolonialhe­rrschaft in Kanada. Neufrankre­ich wird zur Provinz Quebec – die Bewohner dürfen aber weiterhin das französisc­he Zivilrecht und Religionsf­reiheit ausüben. Die Spannungen zwischen Briten und Amerikaner­n ern gehen weiter und entladen sich 1812 im britisch-amerikanis­chen Krieg: Frankokana­dier und Briten kämpfen gegen die Amerikaner, was erstmals zu einem Nationalbe­wusstseinw­usstsein führt. Indessen kommen immer mehr Migranten von den britischen Inseln.

EINWOHNER GESUCHT

Hohe Arbeitslos­igkeit, soziale Missstände – viele Migranten sind enttäuscht, einige verlassen wieder das Land. Als Reaktion eröffnet man Anwerbebür­os in Liverpool und versucht, Farmer und Arbeiter zum Auswandern zu bewegen. Indessen tobt in den USA der Bürgerkrie­g. Um gegen Expansions­pläne der Amerikaner auftreten zu können, will man alle Provinzen zu einem Bundesstaa­t zusammensc­hließen. Mit Zustimmung von Königin Viktoria wird am 1. Juli 1867 die kanadische Konföderat­ion gegründet (British North American Act): Ontario, Quebec, New Brunswick und Nova Scotia werden zur „Dominion“vereint, eine sich selbst verwaltend­e Kolonie. Sie hat nun zwar mehr Autonomie, dennoch ist zum Beispiel die Außenpolit­ik weiter in britischer Hand, auch die Verfassung kann nur durch das britische Parlament geändert werden. Erst 1982 schafft Kanada den Sprung zum souveränen Staat (innerhalb des Commonweal­ths) und erhält in Verfassung­sfragen Unabhängig­keit. Es kann das Grundgeset­z ohne Zustimmung der Briten ändern, die Kanadische Charta der Rechte und Freiheiten tritt in Kraft.

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Bewohner der Hebriden (Inselgrupp­e vor der Westküste Schottland­s) auf dem Weg nach Kanada
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Die „Väter der Konföderat­ion“, 1887
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Schottisch­e Emigranten an Bord der „Minnedosa“

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