Ein leiser Lauter ist jetzt still
Nachruf. Der wunderbare Wilfried Scheutz starb im Alter von 67 Jahren an Krebs
Am Ende war Wilfried schon sehr geschwächt von seiner Krebserkrankung. Sonst hätte sich der Tod wohl kaum an ihn herangewagt, an diesen Felsen von einem Mann. Wer Wilfried auf der Bühne gesehen hat, der konnte sich oft des Eindrucks nicht erwehren: der kann vor Kraft kaum stehen (um ein Bonmot seiner Freunde von der EAV abzuwandeln).
Nur einmal wirkte er vor Publikum ängstlich, unsicher, verwundbar. Das war 1988, als irgendwer auf die wahnwitzige Idee kam, Wilfried in ein sehr schlecht sitzendes Sakko zu füllen und mit der grauenhaften Schmachtballade „Lisa Mona Lisa“zum Song Contest nach Dublin zu schicken, wo er wie festgetackert auf der Bühne stand, unglücklich und verloren, und völlig zu Recht mit 0 Punkten Letzter wurde. Es war seine schwärzeste Karrierestunde.
Bad Goisern
Wilfried Scheutz kam am 24. Juni 1950 in Bad Goisern zur Welt. Später erzählte er, dass er in der Schule vom Lehrer „Schneutz“genannt und gemobbt wurde. Einer seiner Mitschüler war Jörg Haider. Scheutz stammt aus einer musikalischen Familie und wuchs mit der Musiktradition des Salzkammerguts auf. Das Wirtshaus seiner Eltern war ein Musikantentreffpunkt, und Wilfried begann früh, selbst zu musizieren.
Seine Inspiration kam einerseits von der traditionellen Volksmusik, andererseits vom Sound der Siebzigerjahre, also Funk, Disco, Punk und Jazzrock. Dass er diese Einflüsse in seiner Musik zusammenführte, war für ihn die natürlichste Sache der Welt, brachte ihm aber die scharfe Ablehnung der Traditionswächter ein.
1973 nahm er eine RockVersion des Volkslieds „Ziwui Ziwui“auf, die ihm großen Erfolg und große Empörung eintrug. Wegen seiner Fassung des „Kufsteinlieds“galt er in Kufstein jahrelang als Persona non grata.
„Ich wurde irre angefeindet“, erinnerte er sich in einem KURIER-Interview vor wenigen Wochen an seine Rolle als Pionier der Neuen Volksmusik. „So, wie sie Hubert von Goisern und Broadlahn 20 Jahre später die Teppiche ausgerollt haben für die große Erfindung, so haben sie mich geprügelt, weil die Wiener Journalisten bis heute den Unterschied zwischen Musikantenstadl und richtiger Volksmusik nicht erkennen. Das eine ist echt, und das andere ist falsch.“
1978 wurde er der erste Sänger der damals noch völlig unbekannten, ziemlich wilden Rock-Kabarett-Trup- pe EAV. Bald stieg er wieder aus, wurde kurzfristig der Neuen Deutschen Welle zugerechnet und hatte 1981 mit „Highdelbeeren“den nächsten Riesenhit und, wegen der Drogen-Anspielungen, den nächsten Skandal.
Alben wie „Ganz normal“und „Wunschkonzert“waren Anfang der Achtzigerjahre Verkaufshits. Danach ließ der Erfolg langsam nach, im selben Maß, wie Wilfrieds Musik anspruchsvoller wurde.
Rückzug
Nach dem großen Karriereknick durch den Song Contest zog sich Wilfried als Musiker zurück und arbeitete als Schauspieler, etwa bei den Festspielen in Berndorf und Maria Enzersdorf und in TVSerien. In den Neunzigerjahren gründete er das VokalQuartett 4Xang, später trat er mit Blues- und Jazz-Programmen auf, veröffentlichte ein Buch mit Kurzgeschich- ten und Gedichten und eröffnete gemeinsam mit seiner Frau ein Gasthaus.
Anfang der Zehnerjahre des neuen Jahrtausends kam dann das Comeback: Mit Unterstützung seines Sohnes, des Musikers Hanibal Scheutz (5/8erl in Ehr’n) formierte er eine neue Band und brachte 2012 das stark Jazz-beeinflusste Album „Tralalala“heraus. Erst vor wenigen Wochen folgte die neue Platte „Gut Lack“, die überall großartige Kritiken bekam. Wilfried war nach einer Gehirnoperation schon zu schwach, um live zu spielen, freute sich aber riesig, das neue Album Freunden und Journalisten vorzuspielen.
Über seine Krankheit sagte er dem KURIER: „Alles stößt an die Lebensgrenzen. Es blitzt überall. Das Schicksal ist ein wildes Ereignis.“
Laut und leise
Weil auf der Welt und vor allem in Österreich alles einen Titel haben muss, der das Nachdenken erspart, wurde Wilfried seit Jahrzehnten als „Urviech“bezeichnet. Das ist eigentlich absurd, weil er als Sänger die leisen Töne mindestens so gut beherrschte wie die lauten: „Ikarus“, „Südwind“, „Lauf Hase lauf “, „Lass mi bei dir sein“, „Masqumje“– seine extrem gefühlsecht interpretierten, stets zumindest eine Ahnung von Jazz tragenden Balladen gehören zu den stärksten Arbeiten des sogenannten Austro-Pop (dem er sich nie zugehörig fühlen wollte).
Und auch für wunderbar Schräges wie „Orange“war Platz in seiner Arbeit.
Auch privat war Wilfried, erzählen Freunde, ein sensibler, oft sehr stiller Mensch und keineswegs immer der wilde Hund, als den ihn die Öffentlichkeit sah.
Unbequem war er halt immer. Dachte nicht daran, sich Blätter vor den Mund zu nehmen. Über die sogenannten Wutbürger sagte er im KURIER-Interview: „Jeder Trottel haut auf den Tisch, ohne sich zu informieren, und schreit, bevor er überhaupt überrissen hat, was gemeint ist. Diese Entwicklung ist eine totale Katastrophe.“
Wut über die Wut
Oder, in einem anderen KURIER-Gespräch vor einem Jahr: „Was mich wirklich aufregt, ist die Aufregung, die im Moment herrscht. Die total überzogene Aufregung wegen jedem Schmarren. Über alles wird gedröhnt wie verrückt. Es gibt überhaupt keine Differenzierung mehr. Nur mehr voll auf die Nuss. Dazu haben die neuen Medien viel beigetragen. Aber ganz schlimm finde ich den allgemeinen Rechtsruck, der auch mit Gedankenlosigkeit zu tun hat.“
Ein oft Missverstandener ist gegangen. Es war ihm vergönnt, ganz zum Schluss noch eine seiner besten Arbeiten abzuliefern.
Die allerletzte Gedankenlosigkeit musste er nicht mehr miterleben. Die Deutsche Presse Agentur meldete: „Österreichischer Schlagersänger Wilfried gestorben.“