Zitterpartie im „Land der Heuchler“
Public Viewing. Tausende kamen Donnerstagabend zum gemeinsamen Halbfinale-Schauen auf den Rathausplatz
Karl Miklitsch macht den Scheibenwischer (kennt man aus dem Präsidentschaftswahlkampf). Schon um 15 Uhr ist er am Donnerstag mit seiner Frau Maria zum Public Viewing auf den Wiener Rathausplatz gekommen, um zwei Plätze in einer der vorderen Reihen zu besetzen. „Geistesgestört“, sagt er. „Aber macht nix.“
Der Hype um die FrauenFußballnationalmannschaft hat auch auf das Ehepaar Miklitsch übergegriffen. „Die Frauen zeigen, was sie können. Es g’hört sich, dass man sich das anschaut“, sagt Mikltisch, der sich für das Public Viewing das Trikot der Nationalmannschaft übergeworfen hat – und einen Schal. Auch seine Frau trägt die Landesfarben um den Hals, in Form einer rot-weißroten Herzerl-Kette.
12.000 Menschen sind am frühen Donnerstagabend zum spontan einberufenen Public Viewing des Halbfinalspiels gegen Dänemark gekommen. Am Dienstag hat die Stadt Wien bekannt gegeben, dass vor der Vorführung beim Film-Festival eine 80 Quadratmeter große Leinwand aufgestellt wird (die größere Leinwand für das Sommerkino war nicht tageslichttauglich).
Viele kamen in voller FanMontur. In Dressen, mit rot- weißen Ketten um den Hals oder in den Haaren, mit Hüten, Kapperln und Fahnen.
Alle auf dem Platz
Anita Müllner, Manuela Müllner und Michaela Pazour haben sich für das Halbfinale sogar extra T-Shirts machen lassen. „Die sind frisch aus der Druckerei“, sagt Anita Müllner. „Wir wollen ins EM-Finale 2017“ist darauf zu lesen. „Es geht ja hier um Frauenpower.“
Pünktlich zu Matchbeginn um 18 Uhr war der Rathausplatz gerappelt voll. Bundespräsident Alexander Van der Bellen war da und Neos-Chef Matthias Strolz hat sich mit Österreich-Farben im Gesicht (und in der Hand) unter die Zuschauer gemischt.
Direkt vor der Leinwand haben es sich die Menschen auf dem von der Hitze aufgewärmten Asphalt halbwegs bequem gemacht. Wenn die Däninnen auf das österreichische Tor gerannt sind, schrien die Fans „auweh!“, und wenn die Österreicherinnen im Strafraum der Däninnen wieder eine Chance vergeben haben, riefen sie „Nicht schon wieder!“– und griffen sich an den Kopf. Als es nach dem verschossenen Elfmeter von Sarah Puntigam tatsächlich kurz zu regnen begonnen hatte, suchten nur wenige Unterschlupf unter Schirmen. Und als der dritte Elfer der Österreicherinnen verschossen und das Match nach einem weiteren Treffer der Dänninen verloren war, analysierten sie: „Heute haben wir keine Masen ghabt.“
Das ist aber nur halb so schlimm. Thomas und René, die im Österreich-Dress ge- kommen sind, haben sich nicht gedacht, dass sie das einmal für ein Match der Damen-Nationalelf anziehen würden. „Frauenfußball hat mich nie interessiert“, sagt der 24-jährige René. „Für mich ist Fußball immer ein Männersport gewesen.“
Trotzdem hat er den Fußballerinnen die Daumen gedrückt: „Sie haben mich überzeugt. Durch ihre Spielfreude und ihren Kampfgeist. Sie haben einfach nicht gesudert.“
Dass sich viele, die vorher für Frauen-Fußball maximal nichts übrig hatten, plötzlich als Fans bezeichnen, sei „typisch für Österreich, sagt Thomas. „Da zeigt sich wieder, dass Österreich ein Land der Heuchler ist. Wären die Frauen schon in der Vorrunde ausgeschieden, hätte die ganze EM keinen interessiert.“