Mehr Sicherheit durch weniger Haft
Strafjustiz. Probleme werden weggesperrt, Experten sehen in den überfüllten Gefängnissen größere Gefahr
Es ist über zehn Jahre her, da schlossen sich hochkarätige Justizexperten zu einer „Kriminalpolitischen Initiative“zusammen und propagierten Vorschläge zur Entlastung der Gefängnisse. Was sie damit erreichen wollten? „Mehr Sicherheit durch weniger Haft.“Entgegengesetzt zur vorherrschenden Volksmeinung und der mancher Richter belegen zahlreiche internationale Studien nämlich, dass eine Reduktion von Inhaftierungen und der Haftdauer keineswegs einen Sicherheitsverlust bedeuten.
Im Gegenteil: Die Rückfallsquoten sind vor allem bei längeren Gefängnisaufenthalten ohne auf Resozialisierung ausgerichtete Betreuung am höchsten. In überfüllten Gefängnissen ist eine solche Betreuung aber nicht möglich.
Damals bewegte sich die Gesamtzahl der Häftlinge zwischen 8000 und darüber. Etliche Vorschläge der „Kriminalpolitischen Initiative“wurden umgesetzt. Trotzdem stieg der Häftlingsstand auf über 9000 und geht seit Jahren nicht zurück.
Neue Strafgesetze
Zwar gibt es von Jahr zu Jahr insgesamt weniger Anzeigen und weniger gerichtliche Verurteilungen, doch bleiben die (längeren) Haftstrafen auf hohem Niveau, während die Geldstrafen und Alternativen zu klassischen Strafen (etwa die gemeinnützigen Leistungen sowie der Tatausgleich) stagnieren. Außerdem wurden in den vergangenen Jahren neue Straftatbestände geschaffen (z. B. sexuelle Beläs- tigung in Gruppen, tätliche Angriffe gegen Kontrollorgane öffentlicher Verkehrsmittel, Verfolgung von Staatsfeinden) bzw. Strafrahmen angehoben. Der KURIER sprach mit einem Mitglied des Expertenteams, welche Reformvorschläge zu Erfolgen geführt haben und welche noch offen sind
Mit 1. Jänner 2016 wurde die Gewerbsmäßigkeit bei der Begehung von Delikten entschärft. Während bis dahin auch „kleine“Ladendiebe schon nach dem ersten Zugriff in U-Haft genommen werden konnten, wenn eine regelmäßige Begehung zwecks Erzielung eines Einkommens angenommen wur- de, waren nun drei Diebstähle mit höherwertiger Beute dafür erforderlich. Das ließ die U-Haft-Zahlen kurzfristig sinken. Dass auch Dealer erst ab dem dritten Aufgriff mit Drogen im Verkaufswert von 400 Euro wegen Gewerbsmäßigkeit verhaftet werden konnten, führte allerdings zu einem Ausufern des Suchtgifthandels auf den Straßen und erforderte eine gesetzliche Sonderregelung.
Der Vorschlag, einen tageweisen Vollzug von Haftstrafen einzuführen, wurde bis heute nicht aufgegriffen. Der Kriminologe und langjährige Leiter einer Justizanstalt, Wolfgang Gratz, verweist auf die Schweiz. Dort gibt es flexible Modelle zur Verbüßung von Strafen: Verurteilte bleiben in ihrem bisherigen Job mit eigenem Einkommen und Sozialversicherung, rücken für einzelne Tage – etwa ein halbes Wochenende – in die Justizanstalt ein und führen dafür einen Kostenersatz ab.
Fußfessel
Seit 2010 gibt es in Österreich den elektronisch überwachten Hausarrest mit Fußfessel, der Haftstrafen bis zu einem Jahr ersetzen kann. Über 4000 Verurteilte ersparten sich damit zumindest einen Teil der Haftstrafe und entlasteten ein wenig den Überbelag in den Gefängnissen. Die Forderung, die Möglichkeit auf Strafen bis zu ein- einhalb Jahren auszudehnen, blieb bisher unerfüllt.
Ebenso wie der Vorschlag, bei der Entscheidung über die vorzeitige bedingte Entlassung aus der Straf haft fachspezifische Laien hinzuzuziehen. Derzeit entscheidet ein Berufsrichter allein
ob und wann der Freiheitsentzug endet. Die Laien könnten aus dem Strafvollzug und aus der Sozialarbeit (Neustart) kommen und ihre Erfahrungen mit Prognose und Nachbetreuung von Straftätern einbringen. Zahlen belegen, dass mehr bedingte Entlassungen (mit Bewährungshilfe) weniger Rückfälligkeit und daher mehr Sicherheit bedeuten. Die gemeinnützigen Leistungen
als Alternative für Ersatzfreiheitsstrafen bei uneinbringlichen Geldstrafen wurden zwar auf Finanzstrafen und Verwaltungsstrafen ausgedehnt. Die „Kriminalpolitische Initiative“hat allerdings schon 2009 vorgeschlagen, die gemeinnützigen Leistungen auch als sogenannte Primärstrafen an Stelle von kurzen (teilbedingten) Haftstrafen treten zu lassen. Das heißt: Der Richter soll dem Verurteilten die Wahl lassen können, wie er die Strafe verbüßen will, in der Zelle oder mit Dienst für die Gesellschaft. Diesem Plan ist die Justiz bisher nicht nähergetreten.