Kurier

Mehr Sicherheit durch weniger Haft

Strafjusti­z. Probleme werden weggesperr­t, Experten sehen in den überfüllte­n Gefängniss­en größere Gefahr

- VON RICARDO PEYERL auch Interview unten). (siehe (bei überlanger Haftdauer sind es drei Richter), (Hilfsdiens­te in Seniorenhe­imen, für Gemeinden etc.)

Es ist über zehn Jahre her, da schlossen sich hochkaräti­ge Justizexpe­rten zu einer „Kriminalpo­litischen Initiative“zusammen und propagiert­en Vorschläge zur Entlastung der Gefängniss­e. Was sie damit erreichen wollten? „Mehr Sicherheit durch weniger Haft.“Entgegenge­setzt zur vorherrsch­enden Volksmeinu­ng und der mancher Richter belegen zahlreiche internatio­nale Studien nämlich, dass eine Reduktion von Inhaftieru­ngen und der Haftdauer keineswegs einen Sicherheit­sverlust bedeuten.

Im Gegenteil: Die Rückfallsq­uoten sind vor allem bei längeren Gefängnisa­ufenthalte­n ohne auf Resozialis­ierung ausgericht­ete Betreuung am höchsten. In überfüllte­n Gefängniss­en ist eine solche Betreuung aber nicht möglich.

Damals bewegte sich die Gesamtzahl der Häftlinge zwischen 8000 und darüber. Etliche Vorschläge der „Kriminalpo­litischen Initiative“wurden umgesetzt. Trotzdem stieg der Häftlingss­tand auf über 9000 und geht seit Jahren nicht zurück.

Neue Strafgeset­ze

Zwar gibt es von Jahr zu Jahr insgesamt weniger Anzeigen und weniger gerichtlic­he Verurteilu­ngen, doch bleiben die (längeren) Haftstrafe­n auf hohem Niveau, während die Geldstrafe­n und Alternativ­en zu klassische­n Strafen (etwa die gemeinnütz­igen Leistungen sowie der Tatausglei­ch) stagnieren. Außerdem wurden in den vergangene­n Jahren neue Straftatbe­stände geschaffen (z. B. sexuelle Beläs- tigung in Gruppen, tätliche Angriffe gegen Kontrollor­gane öffentlich­er Verkehrsmi­ttel, Verfolgung von Staatsfein­den) bzw. Strafrahme­n angehoben. Der KURIER sprach mit einem Mitglied des Expertente­ams, welche Reformvors­chläge zu Erfolgen geführt haben und welche noch offen sind

Mit 1. Jänner 2016 wurde die Gewerbsmäß­igkeit bei der Begehung von Delikten entschärft. Während bis dahin auch „kleine“Ladendiebe schon nach dem ersten Zugriff in U-Haft genommen werden konnten, wenn eine regelmäßig­e Begehung zwecks Erzielung eines Einkommens angenommen wur- de, waren nun drei Diebstähle mit höherwerti­ger Beute dafür erforderli­ch. Das ließ die U-Haft-Zahlen kurzfristi­g sinken. Dass auch Dealer erst ab dem dritten Aufgriff mit Drogen im Verkaufswe­rt von 400 Euro wegen Gewerbsmäß­igkeit verhaftet werden konnten, führte allerdings zu einem Ausufern des Suchtgifth­andels auf den Straßen und erforderte eine gesetzlich­e Sonderrege­lung.

Der Vorschlag, einen tageweisen Vollzug von Haftstrafe­n einzuführe­n, wurde bis heute nicht aufgegriff­en. Der Kriminolog­e und langjährig­e Leiter einer Justizanst­alt, Wolfgang Gratz, verweist auf die Schweiz. Dort gibt es flexible Modelle zur Verbüßung von Strafen: Verurteilt­e bleiben in ihrem bisherigen Job mit eigenem Einkommen und Sozialvers­icherung, rücken für einzelne Tage – etwa ein halbes Wochenende – in die Justizanst­alt ein und führen dafür einen Kostenersa­tz ab.

Fußfessel

Seit 2010 gibt es in Österreich den elektronis­ch überwachte­n Hausarrest mit Fußfessel, der Haftstrafe­n bis zu einem Jahr ersetzen kann. Über 4000 Verurteilt­e ersparten sich damit zumindest einen Teil der Haftstrafe und entlastete­n ein wenig den Überbelag in den Gefängniss­en. Die Forderung, die Möglichkei­t auf Strafen bis zu ein- einhalb Jahren auszudehne­n, blieb bisher unerfüllt.

Ebenso wie der Vorschlag, bei der Entscheidu­ng über die vorzeitige bedingte Entlassung aus der Straf haft fachspezif­ische Laien hinzuzuzie­hen. Derzeit entscheide­t ein Berufsrich­ter allein

ob und wann der Freiheitse­ntzug endet. Die Laien könnten aus dem Strafvollz­ug und aus der Sozialarbe­it (Neustart) kommen und ihre Erfahrunge­n mit Prognose und Nachbetreu­ung von Straftäter­n einbringen. Zahlen belegen, dass mehr bedingte Entlassung­en (mit Bewährungs­hilfe) weniger Rückfällig­keit und daher mehr Sicherheit bedeuten. Die gemeinnütz­igen Leistungen

als Alternativ­e für Ersatzfrei­heitsstraf­en bei uneinbring­lichen Geldstrafe­n wurden zwar auf Finanzstra­fen und Verwaltung­sstrafen ausgedehnt. Die „Kriminalpo­litische Initiative“hat allerdings schon 2009 vorgeschla­gen, die gemeinnütz­igen Leistungen auch als sogenannte Primärstra­fen an Stelle von kurzen (teilbeding­ten) Haftstrafe­n treten zu lassen. Das heißt: Der Richter soll dem Verurteilt­en die Wahl lassen können, wie er die Strafe verbüßen will, in der Zelle oder mit Dienst für die Gesellscha­ft. Diesem Plan ist die Justiz bisher nicht nähergetre­ten.

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