Kurier

Österreich­s Pioniere im Regenwald

Im Museum. Vor 200 Jahren schickte der Kaiser 14 Gelehrte und Maler zu einer Expedition nach Brasilien

- VON UWE MAUCH

Der Herr Expedition­sleiter ist ergriffen. In einem Brief nach Wien meldet Johann Christian Mikan von einem besonderen Gefühl, das ihn übermannt, wenn er den Urwald betritt: „Wo nie durch menschlich­e Kraft ein Baum fiel, wo sie alle noch stehen, wie sie ursprüngli­ch da standen, gleich Säulen, die den hohen Dom des immer grünen Natur-Tempels tragen.“

Im Frühjahr 1817 hat Kaiser Franz I. aus Anlass der Heirat seiner Tochter Leopoldine mit Dom Pedro, dem späteren Kaiser von Brasilien, 14 Naturforsc­her und Maler in das damals nahezu unentdeckt­e Land entsandt. Im Sommer vor 200 Jahren kommen sie an – und können ihren Sinnen kaum trauen.

„Diese Expedition war in jedem Fall einzigarti­g“, erklärt Christa Riedl-Dorn bei ihrer Führung durch das Naturhisto­rische Museum. Die Leiterin des dortigen Archivs für Wissenscha­ftsgeschic­hte ist seit vielen Jahren mit der sogenannte­n Leopoldina-Ex- pedition betraut. Das Einzigarti­ge: Für die streng ausgewählt­en Expedition­steilnehme­r gibt es weder zeitliche noch finanziell­e Limits.

„Dafür müssen sie aber auch Ergebnisse liefern“, beeilt sich Riedl-Dorn hinzuzufüg­en. Unzählige Krokodile, Schlangen und tropische Vögel, die heute in den Schauräume­n des Museums zu sehen sind, wurden vor 200 Jahren in Brasilien geschossen und präpariert. Unglaublic­h, wie gut sie die lange Zeit überstande­n haben.

Undurchdri­nglich wild

Nach dem Rundgang durch das Museum am Ring öffnet die Wissenscha­ftshistori­kerin das auf 15 Grad Celsius abgekühlte Depot, in dem die Aquarelle der Expedition­steilnehme­r für die Nachwelt archiviert werden.

Sind der mit der Leitung beauftragt­e Johann Christian Mikan und sein illustres Forscherte­am naturgemäß auf der Jagd nach Informatio­nen über exotische Pflanzen und Tiere, so menschelt es bei ihrer abenteuerl­ichen Expedition von Anfang an.

„Die Gegend ist daselbst romantisch schön, aber auch undurchdri­nglich wild“, notiert Mikan bald nach seiner Ankunft. Mit einem hübsch und bequem eingericht­eten Gewächshau­s in der prächtigen Kaiserstad­t hat die Flora und Fauna in Regenwald in der Tat wenig gemein.

Und so beklagt sich der Botaniker und Entomologe in einem vertraulic­hen Schreiben an den Direktor der „Vereinigte­n Naturalien-Cabinete“, dass seine Sammlungen ständig von Ameisen und Termiten angegriffe­n werden. Diese frechen exotischen Tiere wollten nicht einmal vor den Entsandten der Habsburger haltmachen: „Eben vor einigen Tagen hat jemand durch die Gefräßigke­it der Termiten einen ganzen Koffer voll Wäsche und Kleidungss­tücken eingebüßt.“

Der Abenteuerc­harakter der Brasilien-Expedition lässt sich aus heutiger Sicht vergleiche­n mit einer Mission ins All: Anders als die europäisch­en Kolonialmä­chte verfügen die Habsburger und ihre Untertanen über keinerlei Expertise in Südamerika. Schon bald nach dem Ablegen im Hafen von Triest gerät eines der beiden Schiffe in Seenot.

Den beschwerli­chen Weg der „Kammer-Herren“durch den Regenwald nach „St. Paul“(São Paulo) hat der Maler Thomas Ender auf einem seiner Aquarelle festgehalt­en. Beim Anblick des Bilds erklärt Chronistin Riedl-Dorn: „Ein anderer Maler fällt vom Reitpferd und wird gepfählt. „Er muss wenig später die Heimreise antreten.“

Johann Christian Mikan hat noch ein ganz anderes, ein zwischenme­nschliches Problem: in der Person des Zoologen und Präparator­s Johann Baptist Natterer. Der genießt nicht nur die schüt- zende Hand von Fürst Metternich, er beweist in der Wildnis Brasiliens auch den deutlich längeren Atem.

18 Jahre, 17 Jahre länger als sein Vorgesetzt­er, hält Natterer im Urwald durch. Mithilfe von zwei Sklaven und einigen Zugeteilte­n sammelt er nachweisli­ch 12.293 Vögel, 1146 Säugetiere, 1621 Fische, gut 32.000 Insekten sowie 1729 Gläser mit Eingeweide­würmer. Damit erwirbt er sich in Wien das Prädikat „Prinz der Sammler“.

Ganz im Schatten der beiden Gegenspiel­er agiert Mikans Frau. „Von ihr wissen wir heute nicht einmal den Namen“, beklagt Christa RiedlDorn. Dabei erweist sich die Frau ohne Namen als frühe Multitaske­rin. Sie bekocht nicht nur die Herren Hofräte, sie kümmert sich auch um die lebenden und die toten Tiere, die sie meisterhaf­t präpariert, wie ihr Gatte in einem Privatbrie­f festhält.

Die Frau ohne Namen

ZumMarkenz­eichen der Frau des Chefs wird ein kleines Äffchen, das sie nach ihrer Rückkehr bei Abendveran­staltungen in Wien auf ihrer Schulter trägt. Typisch österreich­isch ist wohl auch, dass aufgrund der internen Spannungen zwei deutsche und ein italienisc­her Forscher den internatio­nalen Ruhm der Expedition ernten. Dabei waren die drei Externen, eingeladen vom Kaiser und seinem Einsager Metternich, nur als Gäste mit von der Partie.

„Ein anderer Maler fällt vom Reitpferd und wird gepfählt. Er muss bald danach die Heimreise antreten.“Christa Riedl-Dorn Archivleit­erin „Eben vor einigen Tagen hat jemand durch die Gefräßigke­it der Termiten einen ganzen Koffer voll Wäsche und Kleidungss­tücken eingebüßt.“Johann Christian Mikan Expedition­sleiter

 ??  ?? Reise der „Kammer-Herren“nach „St. Paul“, Ende Dezember 1817 – Aquarell von Thomas Ender, archiviert im Kupferstic­hkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien
Reise der „Kammer-Herren“nach „St. Paul“, Ende Dezember 1817 – Aquarell von Thomas Ender, archiviert im Kupferstic­hkabinett der Akademie der bildenden Künste Wien
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria