Kurier

Das blaue Lauf-Wunder

Usain Bolt. Der schnellste Mann der Welt verlor sein letztes Solo-Rennen

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Einmal noch wird er sich auf die Beine machen. Ein allerletzt­es Mal seine Show abziehen: Mit seinen komischen Grimassen und dem coolen Gehabe; mit dem breiten Grinsen und den langen Schritten; und, sofern alles glatt läuft, mit der bekannten Siegerpose, die sein Markenzeic­hen geworden ist.

Das WM-Finale mit der 4x100-Meter-Staffel in London (die 200 Meter lässt er aus) ist am Samstag das Ende der Lauf bahn des größten Athleten der Leichtathl­etikGeschi­chte. Usain Bolt. Für seine Fans war und ist er immer noch der Popstar des Spitzenspo­rts. Für die mit Affären und Dopingkris­en behaftete Leichtathl­etik war der Rekordläuf­er im vergangene­n Jahrzehnt ein echter Segen. Für die Sportwisse­nschaft ist der schnellste Mann der Welt vor allem eines: ein Mysterium.

Spurensuch­e

Usain Bolt hat allen ein Rätsel aufgegeben. Der Konkurrenz, die mit dem Jamaikaner nicht Schritt halten konnte – selbst dann nicht, als er wie 2008 im Olympiafin­ale von Peking mit einem offenen Schuhband unterwegs war. Aber auch den Leichtathl­etikExpert­en, die es nie für möglich gehalten hatten, dass ein Mann mit seiner Statur (1,95 Meter) jemals eine Fixgröße im Sprint sein könnte.

Viele versuchten in den vergangene­n Jahren, dem Phänomen Usain Bolt auf die Spur zu kommen. Trainingsw­issenschaf­tler hefteten sich an seine Fersen, Anthropolo­gen analysiert­en seinen Körperbau, Physiker und Biomechani­ker durchleuch­teten seinen Laufstil. Doch der Bolt von 2017 ist nicht mehr der von früher: In 9,95 Sekunden wurde der 30-Jährige am Samstag Dritter hinter dem mehrfachen Dopingsünd­er Justin Gatlin im blauen Dress (USA/9,92), der daraufhin vom Publikum gnadenlos ausgepfiff­en wurde, und dessen Landsmann Christian Coleman (9,94).

Höchsttemp­o

Gatlin schaute, dass er sich so schnell wie möglich in die Katakomben des Londoner Stadions zurückzog – die Bühne für die umjubelte Ehrenrunde überließ er Bolt.

Mittlerwei­le ist bekannt, dass Usain Bolt 2009 bei seinem Weltrekord­lauf über die 100 Meter (9,58 Sekunden) eine Höchstgesc­hwindigkei­t von 44,72 km/h und eine maximale Schrittlän­ge von 295 Zentimeter­n erreicht hat. Man fand heraus, dass er im Gegensatz zu anderen Sprintern die Fähigkeit besitzt, sein hohes Tempo auch auf den letzten 50 Metern zu halten. Und dann hält sich auch noch hartnäckig die Theorie von der wundersame­n Wirkung der Yamswurzel. Die ist in Jamaika in aller Munde und soll Usain Bolt ebenfalls Beine gemacht haben.

Rhythmusst­örungen

Wissenscha­ftler der Southern Methodist University in Dallas haben nun eine erstaunlic­he Entdeckung gemacht: Der Mann mit den schnellste­n Beinen hat einen unrhythmis­chen Laufstil. Demnach belastet er sein rechtes Bein deutlich mehr als sein linkes. Der Kraftimpul­s, der vom rechten Fuß ausgeht, ist um 13 Prozent höher als beim anderen Fuß. Der Grund: Bolts rechter Fuß ist kürzer.

Die Biomechani­k-Experten in Dallas rätseln seither, ob Bolt bei einer gleichmäßi­gen Kraftübert­ragung nicht noch schneller laufen könnte. Oder ob etwa gar diese ungewöhnli­che Eigenschaf­t das Phänomen Bolt ausmacht. „Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage“, sagte Peter Weyland, der Direktor der Southern Methodist University kürzlich der New York Times.

Forschungs­objekt

Fakt ist, dass Usain Bolt im Sprint eine neue Zeitrechnu­ng eingeleite­t hat. Fakt ist, dass seine Rekorde und Leistungen seit jeher auch kritisch hinterfrag­t werden. Denn Fakt ist auch, dass fünf der sechs 100-Meter-Olympiasie­ger vor Usain Bolt genauso gedopt waren wie etliche jamaikanis­che Teamkolleg­en der Nummer eins.

Usain Bolt, die Ausnahme von der Regel? In Dallas können sie das Karriereen­de des Weltrekord­halters jedenfalls kaum erwarten: „Menschen stellen ihren Körper der Wissenscha­ft zur Verfügung“, sagte Andrew Udofa, der Leiter der Studie, „er könnte das auch tun.“

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