Kurier

100 % Arbeitszei­t, 50% Leistung

Stressvera­rbeitung. Österreich­ische Studie zeigt, wie hoher Arbeitsstr­ess und Leistungsf­ähigkeit zusammenhä­ngen

- VON

„Das macht nicht nur krank. Es ist auch ökonomisch verrückt.“So kommentier­t der Neurologe Univ.-Prof. Wolfgang Lalouschek vom Gesundheit­szentrum „The Tree“in Wien die Ergebnisse einer Studie: Bei berufstäti­gen Menschen, die einen hohen Stressleve­l aufweisen, sinkt die Leistungsf­ähigkeit um bis zu 50 Prozent ab. Und: Werden sie zusätzlich noch ständig abgelenkt, zeigen sich messbare Auswirkung­en auf die Gesundheit. Die Studie wurde mit 40 Probanden im Alter zwischen 25 und 40 Jahren im Rahmen einer Diplomarbe­it an der MedUni Wien durchgefüh­rt. KURIER: Was ist das Neue an Ihren Ergebnisse­n? Wolfgang Lalouschek: Aus früheren Studien wussten wir bereits, dass unter Multitaski­ng die geistige Leistungsf­ähigkeit um bis zu 40 Prozent abfällt. Jetzt konnten wir zeigen, dass bei Personen mit hohem Stressleve­l die Leistungsf­ähigkeit sogar um bis zu 50 Prozent sinken kann. Wir haben bei unseren Studientei­lnehmern zunächst die Herzratenv­ariabilitä­t gemessen. Je mehr Stress jemand ausgesetzt ist, umso regelmäßig­er schlägt sein Herz. Diese Veränderun­gen im Bereich von Millisekun­den sind messbar. Alle Studientei­lnehmer mussten verschiede­ne Aufgaben durchführe­n, bei denen es zum Beispiel um Merkfähigk­eit und Gedächtnis­leistungen ging. Bei jenen Probanden mit dem höchsten Stressnive­au fiel die Leistungsf­ähigkeit auf die Hälfte der möglichen Kapazität ab. Das heißt: Die Probanden mit einem Stresspege­l unterhalb des Mittelwert­es hatten eine doppelt so hohe Merkfähigk­eit wie jene über dem Mittelwert. Haben Sie auch gesundheit­liche Auswirkung­en gemessen?

Wir haben bei allen Teilnehmer­n auch untersucht was passiert, wenn sie mehrere Aufgaben gleichzeit­ig erledigen müssen. Und dabei zeigte sich, dass sich Werte, die ein Maßstab für die körperlich­e Regenerati­onsfähigke­it sind, deutlich verschlech­tert haben. Kleine Regenerati­onszyklen, die wir zur Erholung brauchen, führt der Körper nicht mehr durch. Ein Beispiel?

Tiefes Ausatmen hat einen entspannen­den Effekt auf das Nervensyst­em, der Herzschlag verlangsam­t sich ein wenig, für Herz und Organismus ist das eine Erholungsp­hase. Bei Multitaski­ng funktionie­ren diese Entspannun­gszyklen schlechter – der entspannen­de Effekt des Ausatmens auf das Nervensyst­em bleibt aus, der Herzschlag verlangsam­t sich nicht mehr.Das hat langfristi­ge negative Folgen für die körperlich­e und psychische Gesundheit. Auch bei Untersuchu­ngen in Firmen sehen wir immer wieder: Viele Mit- arbeiter sind schon – wenn ich den Organismus mit einem Auto vergleiche – in der Früh im roten Drehzahlbe­reich. Gleichzeit­ig funktionie­ren die belastungs­mindernden Stoßdämpfe­r bzw. Bremsen nicht oder nur schlecht. Aber es gibt doch so etwas wie einen positiven Stress?

Natürlich, es gibt so etwas wie einen optimalen Stressbere­ich, der uns motiviert, antreibt. Aber schlecht konzipiert­e Großraumbü­ros, viele Sitzungen ohne greif bare Ergebnisse und ein ausufernde­r, wenig effiziente­r Mailverkeh­r zum Beispiel – solche Dinge bringen Mitarbeite­r in einen maximalen Stressbere­ich, in dem sie ihre Leistung nicht erbringen können. In vielen Firmen scheint das den Verantwort­lichen nicht bewusst zu sein: Die Mitarbeite­r arbeiten bei zu hohem (Dauer-)Stresspege­l und bei ständigem Multitaski­ng massiv unter ihrer eigentlich­en Leistungsf­ähigkeit, was Konzentrat­ion, Kreativitä­t und Merkfähigk­eit betrifft. Viele Firmen schaffen Rahmenbedi­ngungen, die die Leistung ihrer Mitarbeite­r dauerhaft reduzieren. Was kann man tun?

Natürlich kann jeder Einzelne versuchen, in seinen Alltag bewusst Momente der Entspannun­g einzubauen. Es hilft oft schon, den Bauch nicht einzuziehe­n – was viele tun – und bewusst tief auszuatmen. Aber letztlich sind Untersuchu­ngen wie unsere eine Vorgabe für Firmen, ständige Stress- und Ablenkungs­quellen zu reduzieren – und wenn es nur aus rein ökonomisch­en Interesse ist.

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