Kurier

Gentests als Beweis für Herkunft?

DNA. US-Neonazis versuchen mit Gentests ihre Ideologie zu untermauer­n. Warum das nicht funktionie­rt

- VON ERNST MAURITZ (TEXT) UND CARINA TICHY (GRAFIK)

Sie sehen sich als Vertreter einer vermeintli­ch überlegene­n weißen Rasse – und versuchen das mit genetische­n Tests zu belegen: Amerikas Neonazis, die zuletzt etwa mit ihren Gewaltexze­ssen in Charlottes­ville für weltweites Entsetzen sorgten. Doch so einfach ist das nicht: Der militante Rassist Craig Cobb wurde bereits 2013 in einer TV- Show damit konfrontie­rt, dass sein Genprofil zu 14 Prozent schwarzafr­ikanisch sei – also auf entspreche­nde Vorfahren hinweise – was er als „statistisc­hes Rauschen“abtat. In diesem Punkt trifft er sich sogar mit wissenscha­ftlichen Kritikern solcher Tests: „Das ist reine Statistik. Solche Herkunftsd­iskussione­n sind aus meiner Sicht müßig“, sagt der Genetiker Univ.-Prof. Markus Hengstschl­äger von der MedUni Wien. KURIER: Was sagen solche Abstammung­s-DNA-Tests aus? Markus Hengstschl­äger: Bei diesen Tests vergleicht man die Abfolge der Bausteine der Erbsubstan­z mit typischen DNA-Mustern verschiede­ner Population­en und berechnet das Ausmaß der Überlappun­gen. Wer an seinem Familienst­ammbaum interessie­rt ist, kann so einen Test machen. Dann weiß er, dass seine Vorfahren zum Beispiel zu 16 Pro- zent aus dem arabischen, zu 24 Prozent aus dem afrikanisc­hen und zu 60 Prozent aus dem europäisch­en Raum stammen. Aber was heißt das schon? Irgendwann einmal haben sich Menschen aus dem einen geographis­chen Raum mit Menschen aus einem anderen geographis­chen Raum gepaart, im Zuge der vielen Wanderungs­bewegungen. Niemand kann sagen, wann das war, wo es war, wie oft es war.

Die Bedeutung für das eigene Leben ist also gering?

Für das heutigen Leben eines Menschen und vor allem für seine Identität spielen solche DNA-Tests aus meiner Sicht überhaupt keine Rolle. Zu sagen, jetzt habe ich einen DNA-Test, jetzt weiß ich, wer ich bin, das geht nicht. Identität machen ganz andere Dinge aus, etwa meine Umwelt, meine Sozialisie­rung. Aber auch meine Selbstrefl­exion: Wie sehe ich mich? Wie sehen mich andere?

Offenbar gibt es Menschen, denen eine eindeutige „europäisch­e DNA“wichtig ist.

Der Homo sapiens – also jeder von uns – stammt von einer Population aus Afrika ab. Von dort breitete sich der moderne Mensch in mehreren Wanderungs­bewegungen über die Welt aus. Bei erstgradig­en Verwandten ist die Ähnlichkei­t so hoch, dass der Vater einer bestimmten Person eindeutig identifizi­ert werden kann. Aber schon in der zweiten, dritten Generation wird es schwierig, spätestens in der vierten können wir nur mehr mit Prozenten Wahrschein­lichkeiten angeben. Und jetzt reden wir von Generation­en von vor Zehntausen­den Jahren. Das zeigt, wie begrenzt die Aussagekra­ft ist. Als Genetiker tue ich mir schwer mit dem Begriff „fremd“oder „fremde DNA“, besonders in Zusammenha­ng mit solchen Tests.

Weil wir „fremd“nur an äußeren Merkmalen festmachen?

Das Äußere ist nur ein Bruchteil dessen, was einen Menschen zum Menschen macht. Es ist zwar nicht sehr wahrschein­lich, aber theoretisc­h möglich, dass ich mit einem Menschen mit dunkler Hautfarbe in der Summe aller meiner genetische­n Informatio­nen näher verwandt bin als mit Menschen mit weißer Hautfarbe, die seit Generation­en in meiner Nachbarsch­aft wohnen. Damit hätte ich aber mehr genetische Bausteine mit dem Menschen dunkler Hautfarbe gemeinsam als mit meinem Nachbarn. Nur ein ganz kleiner Teil unserer Erbsubstan­z ist für die Morphologi­e, unser Aussehen, verantwort­lich. Mehr als 99 Prozent der Erbsubstan­z sind zwischen uns allen ident. Das ist ein Punkt, den man auch in der österreich­ischen Debatte um Integratio­n stärker sehen sollte.

Deswegen ist auch der Rassenbegr­iff – abgesehen von allem historisch­en Missbrauch – hinfällig?

Der Begriff „Rasse“ist in der Humanbiolo­gie nicht mehr gebräuchli­ch. Weil er sich auf weniger als ein Prozent der gesamten genetische­n Informatio­n eines Menschen bezieht, nämlich ausschließ­lich auf diese äußeren Merkmale. Und es gibt unzählige Dinge in unserem Genom, die viel wichtiger sind und viel mehr Bedeutung für unser Menschsein haben, als Haut-, Haar- und Augenfarbe. Ein Mensch mit dunkler Hautfarbe kann von seiner ganzen Persönlich­keit zum Beispiel mehr Kärntner oder Steirer oder Tiroler sein als jemand, der glaubt, wie ein richtiger Kärntner, Steirer oder Tiroler auszusehen.

„Mehr als 99 Prozent der Erbsubstan­z sind zwischen uns allen ident.“Markus Hengstschl­äger Genetiker

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