Kurier

Islam-Experte: Mehr Härte und weniger Naivität im Umgang mit Islamisten

Anti-Terror. Deutscher Autor Ahmad Mansour fordert bessere Strategien

- VON STEFAN KALTENBRUN­NER

Europa müsse sich besser gegen islamistis­che Selbstmörd­er schützen, sagt der Autor und Psychologe Ahmad Mansour im KURIER-Gespräch. Dass keine wirklichen Strategien vorhanden seien, emp- finde er als „fatal“. Man könne das Thema nicht den Rechten überlassen. In einem Interview (Chronik) übt Ümit Vural von der Islamische­n Föderation Kritik an seinen Kollegen.

KURIER: Nach jedem Terroransc­hlag übt sich die Politik in stereotype­n Durchhalte­parolen, wie „Wir werden gewinnen“, oder „Wir sind stärker“. Das klingt freilich mittlerwei­le so, als ob wir nichts gegen den Terror tun können und ihn als Fakt hinnehmen müssen. Ahmad Mansour: Natürlich können wir etwas dagegen tun. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Nachrichte­ndienste besser werden, wir müssen unsere Sicherheit­skonzepte besser organisier­en, wir müssen sensible Orte noch besser schützen. Wir müssen uns vielleicht davon verabschie­den, dass wir mit dem Auto direkt ein paar Meter vor den Check-ins am Flughafen parken können, stattdesse­n werden wir durch Sicherheit­sschleusen fahren müssen. Das sind Maßnahmen, die jedes Land, das von Terror betroffen ist, über kurz oder lang einführen muss. Man braucht nur nach Israel zu schauen. Aber auch diese Maßnahmen, die uns ja auch ein Stück Freiheit wegnehmen, garantiere­n keinen 100-prozentige­n Schutz.

Nein, aber es werden dadurch hunderte Attentate pro Jahr verhindert, und es werden Dutzende Menschen gerettet. Jedes einzelne Menschenle­ben ist es wert, gerettet zu werden. Trotzdem ist die Sicherheit­sfrage nur ein Aspekt, um gegen den Terror vorzugehen. Welche Maßnahmen wird es noch brauchen?

Langfristi­g können wir sehr viel tun, wir müssen vor allem präventiv endlich aktiv werden. Wir müssen die Jugendlich­en schneller erreichen und den Islamisten und Hasspredig­ern zuvorkomme­n. Jugendlich­e radikalisi­eren sich aus unterschie­dlichen Gründen, einer dieser Gründe, der in der öffentlich­en Debatte immer sehr kleingehal­ten wird, ist ein bestimmtes Islam-Verständni­s. Die Menschen glauben, dass sie am richtigen Weg sind, dass sie die wahre Religion ausleben, dass sie gegen die Feinde Allahs in den Tod geschickt werden. Deswegen finde ich es fatal, dass nach jedem Anschlag der Satz kommt „Das hat nichts mit dem Islam zu tun“, das stimmt nicht. Wir müssen gegen diese ideologisc­hen Brandstift­er massiv vorgehen. Wie soll das konkret funktionie­ren?

Islamisten, ihre geistigen Unterstütz­er und Lobbyisten müssen nach jedem Anschlag täglich spüren, dass Europa nicht mehr naiv reagiert, sondern mit einer klaren Strategie. Wir haben keine Angst, aber wir schicken unsere Polizei auf die Straße. Wir sind tolerant, aber zeigen keine Toleranz den Intolerant­en. Wir schätzen Religionsf­reiheit, zögern aber nicht, Moscheen zu schließen, wenn dort Hass gepredigt wird. Wir machen es sehr eng für die Vertreter des freiheitsf­eindlichen Islam. Und wir unterstütz­en Reformbemü­hungen und kritisches Denken. Wir schützen die Verfolgten, geben ihnen Asyl, zögern aber nicht, sie abzuschieb­en, wenn sie sich bewusst verweigern , sich zu integriere­n. Es heißt immer, dass wir unsere Werte verteidige­n müssen, welche Werte verkörpern die Terroriste­n?

Islamisten haben eine ganz klare Vorstellun­g von der Welt. Sie verachten das Leben und orientiere­n sich am Jenseits. Sie glauben, die absolute und einzige Wahrheit zu besitzen. Sie lehnen die Gleichbere­chtigung, Meinungsfr­eiheit und die Demokratie ab. Der Architekt dieses Terrors ist nicht nur der „Islamische Staat“. Der IS ist nur ein Produkt dieser Ideologie, ein Symptom und nicht die Ursache. Deshalb reicht es nicht, auf den IS zu schimpfen, sondern wir müssen die Wegbereite­r identifizi­eren und ihnen entschiede­n klarmachen, dass sie Mitschuld an der Verbreitun­g dieser Ideologie haben. Wir machen es uns also viel zu leicht, wenn wir sagen, dass der Terror nichts mit dem Islam zu tun hat?

Ja, auf jeden Fall. Auch wenn wir sagen, dass das nur tragische Einzelfäll­e sind, dass das Jugendlich­e sind, die ausgegrenz­t wur- den, die Rassismus erfahren mussten etc. Das stimmt nicht. Das sind junge Männer quer durch alle Schichten, die eines vereint: Dass sie den Islamismus attraktiv für ihren Lebensweg empfunden haben. Und das müssen wir bekämpfen, und die politische Elite muss endlich Verantwort­ung übernehmen, indem sie den Menschen Rezepte liefert, wie wir mit dieser Ideologie und dem Terror umgehen müssen. Und dass bis heute dagegen keine wirklichen Strategien vorhanden sind, empfinde ich als wirklich fatal. Aber wie lässt sich verhindern, dass sich ein 18-jähriger, in Europa geborener Jugendlich­er dazu entschließ­t, Menschen zu töten und sein eigenes Leben für den Islam zu opfern?

Wir müssen unsere Lehrer dazu ausbilden, dass sie eine Radikalisi­erung erken- nen. Um diese Jugendlich­en zu erreichen, müssen wir in den Sozialen Medien aktiv werden, wir müssen in Jugendspra­che Demokratie und Menschenre­chte thematisie­ren, kritisches Denken vermitteln und religiöse Inhalte auch anders beleuchten. Das sind alles pädagogisc­he Inhalte, die derzeit gar nicht existieren, die wir aber brauchen. Welche Rolle sollen Muslime selbst dabei spielen?

Wir brauchen die muslimisch­e Community dazu, die hier endlich Verantwort­ung übernehmen muss. Wir können uns nicht mehr mit Mahnwachen zufriedeng­eben und damit, dass wir uns gegenseiti­g nach jedem Anschlag umarmen. Das sieht zwar schön aus, kann aber keine Antwort sein. Der Islam muss sich reformiere­n und zu einer Religion wachsen, die nicht ausgrenzt. Zu einer Religion, die Demokratie unterstütz­t und Teil unserer Gesellscha­ft ist. Das ist die Aufgabe der Community, der Theologen und der Moscheen. Aber das wird nur passieren, wenn wir das aktiv einfordern und Druck auf bauen. Aber ist es nicht ein Wunschdenk­en, wenn es der Politik selbst an vernünftig­en Integratio­nskonzepte­n fehlt?

Unsere Volksparte­ien wollen gegenwärti­g die Wahlen gewinnen, das Thema Integratio­n versuchen sie auszuspare­n. Ich werfe den großen Parteien vor, dass sie in eine Wahl ohne genauen Plan zum Thema Integratio­n und Terror gehen. Das ist es doch, was die meisten Menschen derzeit beschäftig­t. Und ich finde es unverzeihl­ich, dass man dieses Thema den Rechten und Rassisten überlässt. Was fordern Sie von der Politik genau, außer mehr Geld für Integratio­n?

Terror ist kein Flüchtling­sthema. Aber gute Integratio­ns- und Flüchtling­skonzepte schaffen mehr Sicherheit. Wir brauchen natürlich die Diskussion über die Sicherung der Grenzen und über eine Neuordnung der Asylverfah­ren. Aber was wir auch dringend benötigen, ist ein Plan für jene Menschen, die schon hier sind, und wie wir sie in die Gesellscha­ft integriere­n wollen. Wir brauchen zum Beispiel Dialogplat­tformen, dort müssen wir den Menschen klarmachen, dass sie, wenn sie kommen, nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten haben. Sie müssen lernen, dass man ihnen die europäisch­en Werte nicht nur präsentier­t, sondern dass sie diese Werte auch verinnerli­chen müssen. Wenn wir uns die Islamisten­Szene in Europa ansehen: Wird sie größer, nimmt die Gefahr von Anschlägen weiter zu?

Die Szene wird größer, und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist der IS gerade in Syrien und dem Irak am Rückzug, deshalb sagen sie ihren Anhängern: „Kommt nicht mehr hierher, sondern greift direkt in Europa an.“Es gibt hier genug Jugendlich­e mit Gewaltfant­asien, die jetzt nicht mehr ausreisen können und so zur potenziell­en Gefahr werden. Und zweitens braucht es für diese Art von Anschlägen keine Struktur mehr. Wir haben gesehen, dass in den vergangene­n Monaten Personen Anschläge verübt haben, die vom IS begeistert waren, die aber selbst nie in Kontakt mit dieser Terrorgrup­pe waren. Das heißt, die Gefahr von weiteren Anschlägen wird zunehmen.

„Die muslimisch­e Community muss endlich auch Verantwort­ung übernehmen. “

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Mansour fordert gegen den Islamismus von der Politik eine klare Strategie ein. Und er will die muslimisch­e Community in die Pflicht nehmen

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