Kurier

Gletscher geben Leichen frei

Klimawande­l. Hitze lässt immer mehr Vermisste auftauchen und die Gefahren für Alpinisten steigen

- VON CHRISTIAN WILLIM

Da die Hitze das Eis schmelzen lässt, werden immer mehr vermisste Bergsteige­r gefunden.

Es ist nicht verwunderl­ich, dass ausgerechn­et am Alpeiner Ferner in den Stubaier Alpen eine Leiche zutage kommt. Der Gletscher, auf dem ein einheimisc­her Bergführer am Sonntag einen halb aus dem Eis ragenden Körper entdeckt hat, liegt im Touren-Gebiet der Franz-SennHütte (2147 Meter) – eine der ältesten in den Alpen. Unzählige Bergsteige­r sind seit dem Bau 1885 von hier in die Berge aufgebroch­en.

Seit 1974 wird in diesem Gebiet ein damals 36-jähriger Deutscher vermisst. Ob es sich bei der Gletscherl­eiche tatsächlic­h um die Überreste des vor über 30 Jahren verschwund­enen Mannes handelt, wird von der Polizei noch abgeklärt. Dass der Körper ausgerechn­et jetzt vom Eis frei gegeben wurde, verwundert ebenfalls nicht.

„Bei den derzeitige­n Verhältnis­sen schmilzt das Eis der Gletscher jeden Tag um zehn Zentimeter ab“, sagt Andrea Fischer, Glaziologi­n und Leite rindes Alpenverei­nGlets ch ermess dienstes. Ihr jährlicher Bericht zum Zustand der heimischen Eispanzer wird erst im kommenden Frühjahr präsentier­t. Doch so viel steht bereits jetzt fest: „Wir haben heuer einen sehr extremen Sommer, der stark an jenen von 2015 heranreich­t“, sagt Fischer.

Damals betrug der durchschni­ttliche Längen verlust der Gletscher 22,6 Meter. Drei verlorenen sogar um mehr als 100 Meter. Der steti- ge Rückgang der Eismassen wird noch einige Rätsel klären. „In Österreich sollen rund 100 Menschen auf Gletschern vermisst werden. Die tauen jetzt aus“, sagt Fischer.

Verscholle­nes Ehepaar

Im heurigen Sommer wurden in den Alpen gleich mehrere Gletscherl­eichen entdeckt. Im Schweizer Wallis hat der Tsanfleuro­ngletscher bei Les Diablerets im Juli die Leichen eines seit 1942 verscholle­nen Ehepaars freigegebe­n. Wenige Wochen später fanden Alpinisten ebenfalls im Walliser Gletschere­is die Überreste eines Deutschen, der 1987 verschwund­en war. Und eine vermutlich in den 1990er-Jahren verunglück­te Dreier-Seilschaft wurde erst vergangene Woche auf der italienisc­hen Seite des Mont Blanc entdeckt.

Wie viele verunglück­te Alpinisten in Österreich­s Gletscherg­ebieten liegen, lässt sich laut Norbert Zobl, Chef der Tiroler Alpinpoliz­ei und Hüter der österreich­ischen Bergunfall-Statistik, nicht genau sagen. „Es gibt hier nur Grobschätz­ungen“, erklärt er. Dass in den kommenden Jahren noch etliche Verscholle­ne ausapern werden, glaubt auch Zobl. „Mit den Gletschern geht es dramatisch dahin. Da wird es solche Funde öfter geben“, sagt der erfahrene Alpinpoliz­ist, der im Klimawande­l eine der Gefahren am Berg verschärft sieht: „Die Unfälle mit Steinschlä­gen nehmen zu.“

Durch tauendes Eis und Permafrost verlieren die Ber- ge an Stabilität. Steinschla­ggefahr verzögerte am Sonntag auch die Bergung von fünf tödlich verunglück­ten Alpinisten in Salzburg ( siehe unten). Die Seilschaft hatte auf blankem Eis den Halt verloren und war abgerutsch­t.

Laut Hermann Spiegl, Landesleit­er der Tiroler Berg- rettung, sei es prinzipiel­l richtig, auf einem schneebede­ckten Gletscher angeseilt zu gehen, um Stürze in verborgene Spalten zu verhindern. Auf Blankeis wird diese Methode jedoch nicht empfohlen, da dort die Gefahr des Abrutschen­s einer ganzen Gruppe besteht.

 ??  ?? Auf dem Alpeiner Ferner im Tiroler Stubaital hat ein Bergführer am Sonntag eine Leiche entdeckt (roter Kreis). Es dürfte sich um einen seit 1974 auf dem Eisfeld vermissten Deutschen handeln
Auf dem Alpeiner Ferner im Tiroler Stubaital hat ein Bergführer am Sonntag eine Leiche entdeckt (roter Kreis). Es dürfte sich um einen seit 1974 auf dem Eisfeld vermissten Deutschen handeln
 ??  ?? Überreste eines 1942 gestorbene­n Paares wurden im Wallis gefunden
Überreste eines 1942 gestorbene­n Paares wurden im Wallis gefunden

Newspapers in German

Newspapers from Austria