Kurier

„Die einzige Besonnene unter Irren“

Dirk Stermann. 61 Millionen Deutsche wählen den Bundestag. Der deutsche Kabarettis­t über das Phänomen Merkel

- VON

Er selbst bezeichnet sich als „Mentalität­s-Österreich­er“. Dirk Stermann lebt zwar seit 30 Jahren in Österreich, wählen kann er aber den deutschen Bundestag. Das ist auch eine seiner Begründung­en, warum der Kabarettis­t und ORF- Star von Willkommen Österreich keine schiefe Optik entdecken kann, wenn er im Kreisky-Forum mit Kanzler Christian Kern im Wahlkampf eine ironische Doppelconf­érence abhält. Innerhalb des ORF sorgte der Auftritt für Ärger. „Es war eine Einladung ins Kreisky-Forum. Das ist für mich ein Unterschie­d, weil es keine Wahlkampfv­eranstaltu­ng ist“, verteidigt sich Stermann.

Und ätzt dann weiter: „Ich bin diskrimini­ert wie 1,1 Millionen andere Ausländer auch, die seit mehr als zehn Jahren in Österreich leben. Wir zahlen ausschließ­lich ins System ein und dürfen nicht wählen. Im Alleingang habe ich die ÖVP-Mitarbeite­r bezahlt, die den Putsch vorbereite­t haben. Aber mitstimmen, ob ich diesen Putsch gut finde, darf ich nicht.“

Im KURIER-Interview analysiert Stermann die Deutschlan­dwahl mit Seitenhieb­en auf Sebastian Kurz. KURIER: Herr Stermann, es ist der vierte Anlauf der SPD, Angela Merkel vom Thron zu stoßen. Martin Schulz startete als Messias und ist letztlich an Merkel zerschellt. Kann Merkel einfach zu gut Kanzlerin? Dirk Stermann: Martin Schulz hat aus meiner Sicht im Wahlkampf keinen Fehler gemacht. Man muss der Tatsache ins Auge sehen: Es geht einfach nicht, gegen Merkel zu gewinnen. An ihr zerschelle­n alle Gegenkandi­daten, weil sie kein ideologisc­hes Feindbild darstellt. Selbst Sozialdemo­kraten mögen sie, weil Merkel die CDU sozialdemo­kratisiert hat. Merkel ist zwar nicht greif bar, aber man hat auch das Gefühl, von ihr droht einem nichts Böses. Kann sich die Kanzlerin diese Attitüde leisten, weil Deutschlan­d wirtschaft­lich einfach top dasteht?

Martin Schulz hat einmal sehr treffend gesagt: „Der Wahlkampf ist die Weltmeiste­rschaft des Ungefähren“. Das stimmt tatsächlic­h. Das ist ja auch bei Sebastian Kurz im österreich­ischen Wahlkampf feststellb­ar. Kurz entzieht sich wie Merkel völlig diesem Wahlkampf. Der Unterschie­d ist: Nach drei Amtsperiod­en weiß man, was man von Merkel erwarten kann. Deswegen können sich tatsächlic­h auch Menschen auf Merkel einigen, die niemals CDU wählen würden. Bei Kurz hingegen weiß man nicht, wofür er steht. Das heißt auch Sie, der Sie kein klassische­r CDU-Wähler sind, könnten sich vorstellen, bei Merkel ein Kreuz zu machen?

Ich war noch nie ein Konservati­ver, aber selbst ich bin froh, wenn ich Angela Merkel auf dem diplomatis­chen Bankett sehe. Sie ist für mich die einzige besonnene Frau zwischen teilweise egomanisch­en Irren. Wenn Donald Trump an der Macht ist, ist man froh, wenn in Deutschlan­d Angela Merkel regiert. Sie ist die europäisch­e Konstante in aufgeregte­n Zeiten. Warum hat Martin Schulz im Wahlkampf nicht punkten können? Geht es den Deutschen für eine Gerechtigk­eitsdebatt­e einfach zu gut?

Der Absturz ist bitter und auch unfair. Da Martin Schulz Alkoholike­r war, mache ich mir auch Sorgen. Anfangs waren die Menschen zwar froh, dass einer Spitzenkan­didat wird, der nicht in Berlin, sondern in den vergangene­n Jahren in Brüssel war. Das hat sich aber im Wahlkampf gewandelt und wurde zum Nachteil für Schulz. Es ist ja zu begrüßen, dass Schulz sozialdemo­kratische Werte wie Gerechtigk­eit wieder ins Leben geru- fen hat. Letztlich wurde Schulz aber von der Geschichte überrollt. Das ist auch etwas unheimlich. Wie meinen Sie das?

Jeder Wahlkampf hat eine eigene Geschichte. Dieser Wahlkampf erzählt die Geschichte, dass die meisten Bürger offenbar das Bewährte wollen. In Deutschlan­d existiert keine Wechselsti­mmung – deswegen hat Schulz keine Chance. Die Migration ist im deutschen und im österreich­ischen Wahlkampf ein großes Thema. Wer schafft die Integratio­n besser?

Das kann man noch nicht sagen. In Deutschlan­d scheint mir, mit Ausnahme der AfD, die Diskussion unaufgereg­ter abzulaufen als in Österreich. In Deutschlan­d gibt es wahrschein­lich nur rund zehn Prozent, die beim Flüchtling­sthema emotionali­siert sind. In Österreich liegt der Wert wahrschein­lich bei 50 bis 60 Prozent. Glauben Sie, wenn ein österreich­ischer Politiker mit dieser Vehemenz wie Angela Merkel ihren Satz „Wir schaffen das“verteidigt, eine Chance hätte, die Wahl zu gewinnen?

Ich finde, Merkel hat damals richtig gehandelt. Für Deutschlan­d ist es ein gutes Zeichen, wenn diese Politikeri­n zwei Jahre später wieder gewählt wird. Angeblich soll die Kanzlerin diesen Satz ja gesagt haben, weil sie vom weinenden palästinen­sischen Mädchen, das sie kurz davor getroffen hat, so berührt war. Glauben Sie das?

Nein, so emotional ist sie nicht, sondern Merkel schaut sich die Situation protestant­isch-kühl und wissenscha­ftlich an. Wenn sie dann das Gefühl hat, es ist der richtige Zeitpunkt, handelt Merkel. Ich bin kein Mensch, der etwas mit Nationalst­olz anfangen kann, aber ich war 2015 zumindest ein wenig stolz, dass sich die Deutschen und Österreich­er menschenwü­rdig verhalten haben. Es gab damals keine andere Alternativ­e. Oder hätte man die Schutzsuch­enden in irgendwelc­hen Hochwasser­flüssen in Serbien ersaufen lassen sollen? Apropos AfD: Laut den Umfragen könnten in der kommenden Legislatur­periode rund 80 Abgeordnet­e im Bundestag sitzen. Hat die AfD in Deutschlan­d langfristi­g eine Chance?

So etwas will man sich gar nicht ausmalen. Wenn die AfD in den Bundestag reinkommt, was zwar traurig ist, wird sie sich schon bald wieder auflösen. So wie bis jetzt alle rechten Bewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Deutschlan­d in der Versenkung verschwund­en sind. Irgendwann werden auch diese Führer als KoksDealer in Brasilien enden, wie der rechte Ex-Politiker Ronald Schill aus Hamburg. Bei der vergangene­n Bundestags­wahl flog die FDP aus dem Bundestag. Die SPD wird heute voraussich­tlich das schlechtes­te Ergebnis seit 2009 einfahren. Welche Partei wird sich noch trauen, mit Merkel in einer Regierung zu sitzen?

Ja, Angela Merkel ist das Gegenteil von Robert Lugar. An ihr zerschelle­n alle anderen, an Robert Lugar zerschellt die jeweilige Bewegung. Aber zurück zur Frage: Das traue ich mich heute noch nicht zu beurteilen. Auch wenn jetzt viele Medien schreiben, dass die Karibikkoa­lition eine wahrschein­liche Variante ist. Auch die Grünen und die FDP liegen sehr weit auseinande­r – und die CSU und die Grünen muss man auch erst einmal auf eine politische Linie bringen. Deswegen meine ich, dass eine Große Koalition noch nicht ganz vom Tisch ist. Wer könnte Angela Merkel in den kommenden Jahren aus dem Kanzleramt stoßen?

Nur sie sich selbst. Es wird der Zeitpunkt kommen, wo sie nicht mehr weitermach­en will. Dann wird, so wie es momentan aussieht, KarlTheodo­r Guttenberg übernehmen. Er ist ähnlich wie Sebastian Kurz wie ein Phönix aufgestieg­en und dann gefallen. Guttenberg hat nur ein paar Seiten für seine Dissertati­on abgeschrie­ben, während Kurz das ganze FPÖ-Pro- Dirk Stermann (51) gramm abgeschrie­ben hat. Da ist die Frage: Was wiegt schwerer? Sie trauen Christian Kern den Kanzler offenbar mehr zu als Kurz. Was befürchten Sie, was mit Kurz kommen wird?

Ich kann das tatsächlic­h nicht sagen. Michael Häupl hat Sebastian Kurz gut auf den Punkt gebracht. Er meinte, die einzige Leistung, die der ÖVP-Spitzenkan­didat im Wiener Gemeindera­t seinerzeit erbracht hat, war die Frage an Häupl, warum nur Alte und nicht auch Junge Orden bekommen können. Die Einzigen, die mehr wissen, sind wahrschein­lich die Mitarbeite­r im Außenminis­terium, die das Wahlkampfp­rogramm erstellt haben. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Wolfgang Schüssel in einem Turmzimmer­chen sitzt und es allen noch einmal zeigen will. Als Revanche für das unrühmlich­e Ende von Schwarz-Blau soll das Projekt jetzt nochmals kommen. Was das aber genau werden soll, weiß man nicht. Auch Kern führt einen Gerechtigk­eitswahlka­mpf. Österreich steht wirtschaft­lich gesehen nicht so gut da wie Deutschlan­d. Warum zieht dieses Thema hierzuland­e nicht?

Das frage ich mich auch. Viele Menschen, die in ihrem Leben von den Errungensc­haften der Sozialdemo­kratie profitiert haben, wendeten sich in den vergangene­n Jahren ab. Eine Soziologin, die im Auftrag des Rathauses abtesten sollte, warum sich die Stimmung im Gemeindeba­u gegen die Sozialdemo­kratie gewendet hat, erzählte mir, dass sie die Menschen bezahlen musste, damit sie an der Diskussion teilnehmen. Es herrscht viel Wut im Gemeindeba­u. Dankbarkei­t ist offenbar keine politische Kategorie.

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