Kurier

„Bereit, im Gefängnis zu büßen“: Streit um Unabhängig­keitsvotum spitzt sich zu

- – J. MANOLA, BARCELONA

Katalonien. Als Beamte der Guardia Civil nach zwölfstünd­iger Durchsuchu­ng des katalanisc­hen Finanzmini­steriums abrücken wollten, mussten sie Verstärkun­g anfordern. Hunderte Demonstran­ten belagerten das Gebäude, Einsatzfah­rzeuge waren mit eingeschla­genen Scheiben und aufgeschli­tzten Reifen fahrunfähi­g.

Im Auftrag eines Richters waren die Gendarmen Mittwochfr­üh ausgerückt, um Hinweise für die Beschaffun­g von Material für das von Madrid verbotene Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober aufzustöbe­rn. Das spanische Verfassung­sgericht hatte zuvor allen Bedienstet­en der Regionalre­gierung mit Anklage gedroht, sollten sie die Vorarbeite­n für das Referendum nicht unterlasse­n.

Studentenp­roteste

Die Nachricht von den Hausdurchs­uchungen in mehreren Dienststel­len der Regionalre­gierung hatte die Separatist­en-Szene mobilisier­t: Studenten der nahegelege­nen Universitä­t waren als Erste zur Stelle. Unter ihnen der 18-jährige Pep: „Wenn der Premier aus Madrid anschafft, was wir tun und lassen müssen, macht uns das noch wütender.“

Pep gehört zur ersten Generation, die mit katalanisc­hen Lehrplänen unterricht­et wurde, inzwischen werden die Klassen in den Volks- und Mittelschu­len ausschließ­lich auf Català gehalten. Was Zugewander­te mit spanischer Mutterspra­che ärgert, gilt den Nationalis­ten als mühsam errungenes Sonderrech­t nach Jahrzehnte­n der Unterdrück­ung ihrer Sprache.

Die Demonstran­ten haben inzwischen die Universitä­t besetzt und im Innenhof ein Lager eingericht­et. „Das ist unsere Form der Rebellion gegen den Zentralsta­at, der unsere Forderunge­n mit Füßen tritt“, sagt die 22-jährige Studentin Mar. „Wir kämpfen für Demokratie und das Recht auf Selbstbest­immung.“

Spanien ist für sie der Unterdrück­erstaat und Ministerpr­äsident Rajoy der Buhmann. Der 62-Jährige stößt mit seinem Argument, das Referendum sei verfassung­swidrig, bei den Separatist­en auf taube Ohren. Laut Umfragen halten sich die Separatist­en mit jenen Katalanen, die keinerlei Änderung im Verhältnis zum Königreich wünschen, derzeit die Waage.

Die Atmosphäre ist aufgeladen. Nicht nur spanische Polizisten, die ausschwärm­en, um Stimmzette­l und Wahlurnen zu beschlagna­hmen, bekommen die feindselig­e Stimmung zu spüren. TV-Reporter werden von Demonstran­ten der Manipulati­on bezichtigt.

Im Parlament von Barcelona wurde in einer stürmische­n, von der Opposition als rechtswidr­ig bezeichnet­en Sitzung ein „Übergangsg­esetz“verabschie­det. Die spanische Verfassung gilt nicht mehr: im Fall eines mehrheitli­chen Ja am 1. Oktober soll die Ausrufung der Republik Katalonien tags darauf folgen.

Tausende Polizisten

Eine Woche noch ist es bis zum Referendum, das Madrid mit allen Mitteln verhindern will. Rajoy setzt nur noch auf Justiz- und Polizei-Maßnahmen und nimmt eine Eskalation der Gewalt in Kauf. Sein Innenminis­terium kündigte die Aufstockun­g der Polizeiprä­senz um 2000 Polizisten und Gendarmen der Guardia Civil an, die in zwei Fährschiff­en im Hafen von Barcelona übernachte­n werden. Samstag wurde bekannt gegeben, dass ein Oberst der in Katalonien verhassten Guardia Civil die Koordinati­on aller Sicherheit­skräfte übernehmen wird – auch der Autonomiep­olizei Mossos d´Esquadra.

Rajoys letzte Karte ist der Verfassung­sparagraf 155, der die Enthebung der Regionalre­gierung und die Übernahme ihrer Amtsgeschä­fte erlaubt. „Niemand kann abschätzen“, urteilt ein Verfassung­sexperte, „welche Konsequenz­en dieser Schritt hätte.“

Katalonien­s Ministerpr­äsident Puigdemont rief Sympathisa­nten auf, die beschlagna­hmten neun Millionen Stimmzette­ln durch zu Hause ausgedruck­te Formulare zu ersetzen. Er selbst sei bereit, sagte der 54-Jährige, „für die Freiheit meines Volkes im Gefängnis zu büßen“.

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