Kurier

„Ich bin eine Frauenverk­örperin“Kino.

Martina Gedeck über ihre Rolle in Julian Pölslers Verfilmung von Marlen Haushofers „Wir töten Stella“

- VON (lacht) (lacht)

„Ich bin allein.“Mit diesem Satz beginnt Marlen Haushofer ihre Novelle „Wir töten Stella“, die Regisseur Julian Pölsler mit Martina Gedeck in der Hauptrolle verfilmte. Die deutsche Schauspiel­erin ist fast schon so etwas wie eine Haushofer-Veteranin, denn sie stand bereits für Pölslers Haushofer-Adaption „Die Wand“vor seiner Kamera.

In „Wir töten Stella“spielt sie eine gutbürgerl­iche Ehefrau, die dabei zusieht, wie ein junges Mädchen ins Verderben gestürzt wird. KURIER: „Wir töten Stella“ist bereits Ihre zweite Verfilmung eines Haushofer-Textes. Was fasziniert Sie daran so? Martina Gedeck: Ich mag ihre Sprache wirklich gern, weil sie klar und einfach ist, aber immer aus dem Inneren heraus spricht. Ich mag auch, dass man beim Lesen das Gefühl hat, alles sei gut, aber dann doch merkt, dass eigentlich gar nichts gut ist. Ich habe alle ihre Bücher mit großer Spannung gelesen und finde sie sehr poetisch. Manchmal kommt mir vor, als würde ein eigenes Wesen von Marlen Haushofer durchschei­nen, eine Wesenhafti­gkeit, die jeder Mensch hat. Die Natur, die Kindheit – alle ihr Sehnsuchts­orte schwingen immer mit. Und das Sterben schwingt auch immer mit, ohne dass es für sie etwas Erschrecke­ndes hat. Es ist fast wie eine Begleitmel­odie. Dadurch bleibt sie immer so nah an der Wahrheit. Was sind Ihrer Meinung nach Haushofers große Themen?

Ich weiß, dass die Menschen, die ihre Literatur lesen, oft sehr betroffen sind. Einfach darum, weil Haushofer schonungsl­os ist, keine Angst hat und keine Fassaden gelten lässt. Sie ist eine Autorin, die das Ende beschreibt – eigentlich in jedem ihrer Bücher. Die das Verlassens­ein des Menschen als Zustand beschreibt, und dabei trotzdem nicht in Hoffnungsl­osigkeit versinkt, sondern sagt: Das ist der Mensch, das ist das menschlich­e Schicksal, und dem müssen wir uns stellen. Oft ist nur Ihr ruhiges Gesicht im Bild zu sehen. Wie schwierig ist es, Innerlichk­eit zu spielen?

Man muss jeden Moment Offenheit haben. Und man muss denken und fühlen, was die Person in diesem Moment denkt oder fühlt, ohne, dass man das Gesicht „gestalten“lässt. Das Gesicht ist ja so toll: wenn man entspannt ist, dann reagiert es seismograf­isch auf alles, was sich im Inneren abspielt. Ich stelle mich nicht einfach ans Fenster und werde dann abgefilmt. In dem Moment, wo ich da stehe, erlebe ich eine innere Auseinande­rsetzung. Sie sind also, auch wenn Sie reglos sind, immer „in character“?

Ja. Es ist gut, sich als Schauspiel­erin zu fragen, was man in der jeweiligen Situation denkt – auch wenn sie ganz alltäglich ist. Man denkt nämlich immer. Ich weiß noch, wenn mein Vater seinen Mittagssch­laf hielt, durfte ich mich als Kind neben ihn legen, und habe ihn dann immer voll gequatscht. Und dann hat er immer gesagt: „Versuch doch einfach, einmal gar nichts zu denken, Martina“– damit er seine Ruhe hatte und einschlafe­n konnte. Aber gar nichts denken, das geht nicht. Sie spielen eine Frau – Anna – die als Komplizin ihres Mannes auftritt, vor dem es sie ekelt. Fanden Sie das nachvollzi­ehbar?

Das ist schon etwas Fremdes für mich. Aber nachvollzi­ehen kann ich das schon, insoweit, als dass sie sich von ihrer unmittelba­ren Umgebung abschottet. Und diese Zeiten kennt, glaub ich, jeder Mensch. Anna ist gerade dabei, viel zu verlieren: Ihren Sohn, ihren Lebensmitt­elpunkt – mit dieser Art von Verlust muss sie umgehen. Sie macht sich Dinge klar: Was für eine Doppelbödi­gkeit in der Familie stattfinde­t, und was für ein Verrat. Haben Sie bestimmte Erfahrungs­quellen, auf die Sie beim Spielen zurückgrei­fen?

Ich beschäftig­e mich ganz wenig mit mir, wenn ich an so einem Film arbeite. Meine Quellen sind dann mehr meine Vorstellun­gskraft oder die Räume, die ich mir dann selber erschaffe und die über mich und mein eigenes Privatlebe­n hinaus gehen. Das ist ja der Zauber des Berufes, dass man in Bereiche gehen kann, die man nicht kennt oder von denen man glaubt, dass man sie nicht kennt. Interessan­terweise empfindet Anna dem Mädchen gegenüber keine Eifersucht, was den Ehemann bzw. die Attraktion für andere Männer betrifft. Hat sie ihre Sexualität aufgegeben?

Das wissen wir nicht. Aber sagen wir so: Ich glaube, Eifersucht käme dann, wenn sie sich unterlegen fühlen oder einen Mangel spüren würde. Aber das ist nicht so. Der Mann spielt in ihrem Leben nur eine marginale Rolle. Es ist kein Frust dabei. Marlen Haushofer hat sich von ihrem Mann scheiden lassen, ihn dann aber wieder geheiratet.

Ja, und sie hatte Liebhaber, und er hatte Liebhaberi­nnen – das war gar nicht so eng, wie man das immer denkt. Man hat halt damals sofort geheiratet, sonst hätte man nicht zusammen kommen können, aber sie sind dann ihre eigenen Wege gegangen. Sie haben unlängst gesagt, Sie seien keine Feministin. Warum?

Das war ein kleiner Nebensatz, wo ich gesagt habe, ich würde mich nicht als Feministin bezeichnen, da ich nicht für Frauenrech­te kämpfe. Ich bin ja Schauspiel­erin, und hätte sonst einen anderen Beruf gewählt und wäre in die Politik gegangen. Ich bin keine Frauenrech­tlerin, sondern eine Frauenverk­örperin. Apropos verkörpern: Wird es jenseits der 50 schwierige­r, gute Rollen zu bekommen?

Im Kino tragen sehr selten Frauen über 50 den Film, so wie ich das hier in „Wir töten Stella“mache. Im Fernsehen ist das nicht so. Aber auch meine männlichen Kollegen jenseits der 50 haben weniger zu tun als früher. Es ist generell so, dass im Kino die Jugend bevorzugt wird. Es geht ja immer um Eros. Das ist es, was man sehen möchte und was verkauf bar ist. Das hat weniger mit Männern oder Frauen zu tun. Die Jugend hat mehr zu tun als die Älteren. Aber hinter den Kulissen, hinter der Kamera, da glaube ich, dass Männer nach wie vor mehr verdienen und mehr zu sagen haben. Egal, wo Sie hinschauen, da steckt alles noch in den Kinderschu­hen. Anna denkt darüber nach, wie sie sich als kleines Mädchen gefühlt hat. Ist es für eine Schauspiel­erin wichtig, Zugang zu kindlicher Energie zu haben?

Ja, unbedingt. Das ist die Spielfreud­e und die Unschuld. Je länger ich vor der Kamera stehe, umso stärker wird mir bewusst, was für ein Wagnis es eigentlich ist, sich dem auszusetze­n: Von so vielen Menschen angeschaut zu werden. Die Gefühle, die ich ja auch preisgebe, wenn ich spiele – das ist schon etwas, was nur gelingen kann, wenn man eine Unbefangen­heit hat und eine Unschuld. Diese Unmittelba­rkeit, die die Kinder haben, die braucht man unbedingt zum Spielen: Das Aufgehen im Tun, diese Hingabe an den Moment. Wenn man den Beruf weiterhin machen möchte, dann geht das nur so.

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