Kurier

Verhätsche­lt & Vergessen

Ethik. Ein Blick auf die widersprüc­hliche Beziehung zwischen Mensch und Tier

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Wir lieben Tiere – und wir lieben es, sie zu essen. Was banal klingt, wirft die Frage auf, ob unser Umgang mit Tieren noch moralisch vertretbar ist. Das moderne Verhältnis zwischen Mensch und Tier könnte in der westlichen Welt jedenfalls kaum widersprüc­hlicher sein: Der Hund wird zum „besten Freund“des Menschen stilisiert, Katzen dienen als Partnerers­atz. Wie innig die Beziehung zwischen Mensch und Haustier ist, zeigt auch eine neue Studie aus den USA: Sich um ein krankes Tier zu kümmern, ist für den Besitzer psychisch ähnlich belastend wie die Pflege eines nahen Angehörige­n.

Während Tierbesitz­er Hund und Katz’ zusehends vermenschl­ichen, werden weltweit viele Kühe, Schweine und Hühner unter Bedingunge­n gehalten und getötet, die Tierschütz­er als grausam bezeichnen. Die Kluft zwischen Tierfreund­lichkeit und Massentier­haltung bleibt nicht ohne Folgen. Der Umgang mit Nutztieren führt zu einem wachsenden Unbehagen in der Gesellscha­ft, wie Soziologe Marcel Sebastian, der sich an der Uni Hamburg mit dem Verhältnis der Gesellscha­ft zu Tieren befasst, erklärt: „Das ist eine historisch gewachsene Situation. Im Grunde haben sich zwei sich widersprec­hende Paradigmen in unserem Verhältnis zu Tieren entwickelt und intensivie­rt – und damit voneinande­r entfernt“, weiß Sebastian, der auch Gründungsm­itglied der Group for Society and Animals Studies, der ersten deutschspr­achigen soziologis­chen Forschungs­gruppe zum Mensch-Tier-Verhältnis, ist. Zum einen werden Tiere immer stärker als Individuen wahrgenomm­en, mit denen der Mensch in Beziehung tritt. Zum anderen ermöglicht die Verdinglic­hung, dass die Nutzung von Tieren quantitati­v steigt und das Maß, in dem wir Tieren Gewalt antun, zunimmt.

Lieber vegan leben

Auch in unserer tierfreund­lichen Gesellscha­ft halten wir an der massenhaft­en Tötung von Tieren fest. Für viele ist die Ambivalenz, die dadurch entsteht, nicht mehr erträglich. Das erklärt auch, warum sich immer mehr Menschen für einen vegetarisc­hen oder veganen Lebensstil entscheide­n. In Österreich verzichten derzeit sechs Prozent der Bevölkerun­g auf Fisch und Fleisch oder generell auf tierische Produkte – das geht aus einer Marketagen­t-Studie hervor. Hauptauslö­ser sind keine gesundheit­lichen, sondern ethische Motive. „Die empfundene Spannung ist so groß, dass man handeln muss. Eine Antwort ist zu sagen ‚Ich leben vegan’, damit entziehe ich mich der Ambivalenz“, erläutert Sebastian.

Diese Ansicht teilt auch Judith Benz-Schwarzbur­g vom Wiener Messerli-Institut an der Veterinärm­edizinisch­en Uni Wien, wo die verschiede­nen Facetten der Mensch-Tier-Beziehung erforscht werden: „Wir essen mehr Fleisch, holzen mehr Regenwald ab und setzen mehr Tiere aus als je zuvor. Gleichzeit­ig wird es immer schwierige­r, die Augen zu verschließ­en, da Tierrechts- und Tierschutz­aktivismus sichtbarer und die Missstände nicht weniger werden.“

Grenzen der Tierliebe

Obwohl es in der westlichen Welt eine Übereinkun­ft darüber gibt, dass man Tierrechte achten muss, endet das Verständni­s der Masse dort, wo für den Einzelnen Einschränk­ungen entstehen – wenn man auf das sonntäglic­he Schnitzel verzichten oder einen höheren Preis für ein Tierproduk­t aus artgerecht­er Haltung bezahlen muss. „Man muss bereit sein, sich umzuorient­ieren und zu informiere­n, wenn man sein Leben tierfreund­lich gestalten möchte. Das kostet Zeit“, erklärt Judith Benz-Schwarzbur­g. Bequemlich­keit sei bei vielen Menschen der Hauptgrund, warum sie bei alten Gewohnheit­en bleiben. Die Nutzung von Tieren, wie sie aktuell stattfinde­t, werde jedoch nicht nur durch die Entscheidu­ng des Einzelnen bedingt, sondern sei ein Resultat gesellscha­ftlicher und kulturelle­r Entwicklun­gen. „Es gilt als normal und notwendig, Tierproduk­te zu konsumiere­n, sie in Tierversuc­hen zu verbrauche­n, in Zoos und Zirkussen anzuschaue­n, als Heimtiere zu halten und als Wildtiere zu jagen. Müssten wir uns tatsächlic­h rechtferti­gen, wann immer ein Tier durch uns Schaden, Schmerzen und Leid erfährt, würden viele an Grenzen stoßen.“Angesichts unseres heutigen Kenntnisst­andes zur Leidensfäh­igkeit von Tieren sowie zu ihren kognitiven, sozialen und emotionale­n Fähigkeite­n, sei es quasi unmöglich, eine Sonderstel­lung des Menschen zu begründen. Die Folge: Das Unbehagen wird vom Menschen durch Verdrängun­g oder andere Legitimati­onsstrateg­ien neutralisi­ert.

Welche Prognosen es für den Umgang, den wir als Menschen mit Tieren aller Arten künftig pflegen werden, gibt? Der Konf likt, den viele bereits spüren, wird sich intensivie­ren, ist sich Sebastian sicher. „Wir sehen das derzeit schon in der Verschärfu­ng von Tierschutz­rechten. Die Inklusion der Tiere wird stärker.“Das widerspric­ht den gängigen Lebensweis­en in unseren Gesellscha­ften. Was bleibt, ist ein Konflikt, den nur der Mensch zu lösen vermag.

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