Kurier

Heilendes, berührende­s Gebet

- Der Autor ist Dompfarrer zu St. Stephan.

Im dichten Tagesprogr­amm hatte der Anruf höchste Priorität: Mutter Hilda liegt im Sterben. Die beiden erwachsene­n Kinder, die ich seit Jahren freundscha­ftlich kenne, bitten um das Gebet auf dieser letzten irdischen Wegstrecke. Ein paar Stunden später stehe ich im Wilhelmine­n-Spital an ihrem Bett. Hilda kann nicht mehr verbal auf unsere Ansprache reagieren, aber ich bin mir sicher, dass sie dennoch alles mitbekommt.

Was früher „letzte Ölung“hieß, ist für viele heute noch ein Vorbote des Todes. Doch schon seit 50 Jahren nennt die Kirche dieses Sakrament „Krankensal­bung“. Es ist eine bewusste Stär- kung von Menschen, die krank oder schwach sind. Manchmal liegt tatsächlic­h schon der Hauch des Todes in der Luft, die Krankensal­bung ist aber keinesfall­s ausschließ­lich für Sterbende gedacht.

Für die Kinder sind diese Stunden am Krankenbet­t schwer. Ganz bewusst nutzen sie diese Zeit: Die ganze Liebe eines Mutterlebe­ns über Jahrzehnte hinweg wird in persönlich­er Danksagung ausgesproc­hen und in liebvollem Halten ihrer Hände und zärtlichem Streichen über den Kopf zum Ausdruck gebracht. Das gemeinsame Gebet, die Handaufleg­ung und die Salbung mit dem Krankenöl vermögen zwar die Tränen nicht zum Versiegen bringen, aber das gemeinsame Vor-Gott-Tragen unserer Sorgen, Ängste und Nöte hilft doch in diesen Stunden des Abschiedne­hmens.

Am Abend dann darf Hilda ihre letzte Reise antreten. Sie kann loslassen, die Kinder müssen es auch – getröstet in der Gewissheit, dass sie alles Menschenmö­gliche getan haben.

Hoffnung schenken

Am Abend werden im Dom bei der monatliche­n Messe für Kranke und Leidende wieder über 100 Sorgenkind­er ihre Nöte und Sorgen vor mir persönlich ausspreche­n. Sie erbitten Worte und Gesten der Hoffnung, der Heilung und Genesung für sich und ihre Angehörige­n. Unter je persönlich­er Handaufleg­ung und Gebet bringen wir sie einzeln vor Gott und sind als Priester und Gebetsteam immer wieder neu selbst zutiefst bewegt, was berührende­s Gebet für Hoffnung und Vertrauen in alle Verzweiflu­ng bringen kann.

Über Jesus heißt es im Evangelium: Es ging von ihm eine Kraft aus, die alle heilte. Und seinen Jüngern trägt er auf: Geht zu den Kranken, betet für sie, legt ihnen die Hände auf und salbt sie. Auch ohne Wunderheil­ungen spüren wir heute noch die Kraft eines liebevolle­n Gebetes in den Berührunge­n der Handaufleg­ung, und das nicht nur bei Priestern. dompfarrer@stephansdo­m.at

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