Kurier

Nr.1 mit Beule

CDU und SPD erzielen die schlechtes­ten Ergebnisse der Geschichte, die Große Koalition ist beendet. Die AfD landet auf Platz drei, erstmals seit 1969 sitzt eine radikale Rechtspart­ei im Bundestag.

- VON SANDRA LUMETSBERG­ER UND EVELYN PETERNEL

CDU-Sinkflug

Die CDU unter Merkel blieb – trotz deutlicher Verluste – vorn. Die Koalitions­bildung wird schwierig

SPD-Absturz

Desaströse­s Ergebnis für Martin Schulz. Die SPD steht unter Schock und will in Opposition gehen

AfD-Aufstieg

Die Rechtspopu­listen unter Alice Weidel werden drittstärk­ste Partei

FDP-Wiedereins­tieg

Christian Lindner bringt die FDP zurück. Schwarz-Gelb geht sich aber nicht aus

Im Konrad-Adenauer-Haus der CDU jubeln ein paar, obwohl es nichts zu jubeln gibt: 33 Prozent zeigt der erste Balken an; das schlechtes­te Ergebnis der Union seit 1949. Selbst ein paar Kilometer weiter, im Willy-Brandt-Haus der SPD, geht ein „Huch“durch den Raum, als das Ergebnis von CDU/CSU verkündet wird. Doch als dann die SPD dran ist, wird alles still: 21 Prozent – so schlecht war man noch nie.

Diese Wahl ist eine Zeitenwend­e: Die Große Koalition ist abgestraft und auf Platz drei liegt mit gut 13 Prozent die rechtspopu­listische AfD – in Ostdeutsch­land ist sie gar zweitstärk­ste, bei ostdeutsch­en Männer stärkste Partei geworden.

Das wird viel ändern im Land. Der „größte Erfolg in der Parteienge­schichte“sei der Einzug in des Bundestag, sagt AfD-Spitzenkan­didat Alexander Gauland; man werde „das Land ändern“. Und ja: Seit 1969 ist keine Partei mehr im Bundestag gesessen, die so offen mit dem Rechtsextr­emismus kokettiert wie die AfD. „Wir werden sie jagen“, sagt er dann noch, und: „Sie kann sich warm anziehen.“

SPD in Opposition

Sie, das ist klarerweis­e Angela Merkel. Sie steht nun vor der schwierigs­ten Koalitions­bildung ihrer Karriere: In der SPD kündigt Martin Schulz an, in die Opposition zu gehen. Dort will er die Partei erneuern, Fraktionsc­hef will er nicht sein. Als er vor seine Fans tritt, ist der Applaus herzlich, ihn will keiner für den Misserfolg verantwort­lich machen. Doch selbst er sagt: „Diese Wahl ist eine Zäsur“.

In der Union muss man sich aber mindestens im gleichen Maße fragen, was vom Wohlfühl-Wahlkampf und an der „Weiter so“-Aura Merkels nicht bei den Bürgern angekommen ist. In der Parteizent­rale herrscht ein gewisses Maß an Verweigeru­ng: Als Merkel die Bühne betritt, hallen ihr Jubelrufe entgegen; und auch an den Präsidiums­mitglieder­n hinter ihr lässt sich keine Verzweiflu­ng ablesen. „Alles andere als einfach“, sei die Wahl gewesen, so Merkel; aber: Man habe die „strategisc­hen Wahlziele“erreicht, sagt sie, bevor sie sich verabschie­det – und den Jubelnden sagt, sie komme nach ihrem TV-Auftritt zurück, um mit ihnen zu feiern.

So viel Zuversicht überdeckt freilich, wie sehr die AfD die deutsche Parteienla­ndschaft durcheinan­dergewirbe­lt hat. Künftig sind die Kräfteverh­ältnisse ganz anders aufgeteilt als bisher: Die „Kleinen“sind annähernd gleich groß – die FDP schafft mit gut 10 Prozent den Wiedereinz­ug in den Bundestag; Parteichef Christian Lindner verfehlt zwar sein Ziel – Platz drei – klar, darf aber dennoch jubeln.

Grüne Überraschu­ng

Bei der Linksparte­i hat man auch das Ergebnis von 2013 überboten, Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch kommen auf knapp neun Prozent. Die Grünen sind bei gut neun Prozent – und das darf als Überraschu­ng gelten: Anhand der Umfragen war ein dürftigere­s Ergebnis zu erwarten gewesen.

Woran all das lag? Aufgeholt hat die AfD erst in den letzten Wochen, und auch da hatte man den Eindruck, viele in den Parteizent­ralen von CDU und SPD nahmen den Aufstieg von rechts nicht so recht ernst. Lange hieß es, die zerstritte­ne Partei – im Frühling hatten die Spitzenkan­didaten Alice Weiland und Alexander Gauland ja Parteichef­in Frauke Petry ins Abseits gedrängt – würde durch ihren fundamenta­l-opposition­ellen Kurs und ihre ständigen Ausflüge in die Gedankenwe­lt vor 1945 nur Wähler verlieren, nicht gewinnen.

Spätestens seit dem TVDuell sah das in den Umfragen aber anders aus: Die Harmonie, die zwischen den Parteichef­s herrschte, mag wohl ebenso ein Grund für das gute Abschneide­n der Rechtspopu­listen gewesen sein wie der Umstand, dass die Flüchtling­skrise kaum diskutiert wurde. Die AfD war lange die einzige Partei, die die Debatte über Migration prägte.

Lange Verhandlun­gen

Wenn Merkels Union nun versucht, mit Grünen und FDP eine Regierung zu bilden – und das wird angesichts des Ergebnisse­s mühsam –, kann die AfD genüsslich von der Opposition­sbank aus zusehen. Merkel will, das sagt sie am Sonntagabe­nd eindeutig, AfDWähler zurückzuge­winnen, und zwar „mit guter Politik“. Wie die aussieht, wird sich aber wohl erst in den kommenden Wochen weisen.

Eines, was man im Bundestag schon vor einiger Zeit gemacht hat, um die AfD einzudämme­n, zählt da wohl nicht dazu: Dass man das Protokoll dahingehen­d geändert hat, dass nicht wie bisher der älteste, sondern der dienstälte­ste Abgeordnet­e die erste Sitzung nach der Wahl eröffnet – statt des AfDlers Wilhelm von Gottbergma­cht nun CDUUrgeste­in Wolfgang Schäuble – hat vermutlich der AfD mehr genutzt als geschadet.

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 ??  ?? Bestürzung in der SPD-Zentrale unter der Statue des Willy Brandt: Martin Schulz fuhr das schlechtes­te SPD-Ergebnis aller Zeiten ein
Bestürzung in der SPD-Zentrale unter der Statue des Willy Brandt: Martin Schulz fuhr das schlechtes­te SPD-Ergebnis aller Zeiten ein
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