Kurier

Noch einmal kurz der Messias sein

Martin Schulz will die SPD nach ihrem Debakel erneut erlösen – in der Opposition

- – SANDRA LUMETSBERG­ER

Für einen kurzen Moment ist er wieder der Erlöser: Als Martin Schulz das sagt, wonach sich viele hier im Foyer des Willy-Brandt-Hauses schon lange sehnen: Keine Große Koalition mit der Union mehr. Frenetisch­er Applaus. Und wieder sind die Rufe da: Martin, Martin, Martin.

Das erinnert an den Schulz-Hype, als er im März mit 100 Prozent zum SPDChef gewählt wurde. Nun, ein halbes Jahr später, fuhr er das schlechtes­te SPD-Ergebnis aller Zeiten ein. Aber irgendwie hat das hier niemanden überrascht. Kaum eine Reaktion, als die gerade einmal 20 und ein bisschen Prozent auf dem Bildschirm auf- tauchen, nur starre Blicke. Ein Mann fährt sich mit der Hand abwesend über das Gesicht, eine Frau stößt einen kurzen Freudenseu­fzer aus – die Grünen sind doch nicht aus dem Bundestag geflogen. Und ein Freund von Martin Schulz, der aus den USA anreiste, zeigt sich enttäuscht über den Rechtsruck durch die AfD, er hätte sich von den Deutschen anderes erhofft.

Bitterer Tag

Als Schulz dann etwa eine halbe Stunde nach Schließen der Wahllokale mit seiner Entourage die Bühne betritt, jubeln sie und klatschen die Niederlage weg. Schulz selbst hält lange inne. Es sei „ein schwerer und bitterer Tag für die deutsche Sozialdemo­kratie“, sagt er mit gesenktem Blick. In den Reihen vor ihm wird genickt, man zeigt sich geschlosse­n und zollt ihm Respekt. „ Wir wollten gemeinsam gewinnen, jetzt verlieren wir gemeinsam und wir werden weitermach­en“, sagt die SPD-Kandidatin aus TempelhofS­chöneberg. Was sie auf keinen Fall will: eine Große Koalition.

So sahen es am Anfang dieses Wahlabends viele SPD-Anhänger. Der Student, der Lokalpolit­iker aus dem Ruhrpott oder die Genossin, die lange in einem Abgeordnet­enbüro arbeitete. Alle wünschen sich eine Erneuerung der SPD, auch personell. „Hier sitzen nach wie vor viele, die auch für die HartzIV-Reform verantwort­lich waren, es braucht einen Wechsel“, sagt die Genossin. Diesen verspricht Schulz von der Bühne aus – einen Wechsel in die Opposition.

Nur eine nimmt ihm das alles an diesem Abend nicht ab. Ursula Engelen-Kefer, eine Hochschulp­rofessorin, fast ihr halbes Leben SPDMitglie­d und lange im Sozialverb­and tätig, stimmt nicht in den Martin-Chor ein. „Er ist eine Fehlbesetz­ung“, erklärt sie. Er habe null Erfahrung in der Innenpolit­ik. In Brüssel habe er die Populisten zu- recht gewiesen, das fand sie gut, aber sozialpoli­tisch habe er nichts umgesetzt. In der SPD ist sie nur mehr aus historisch­en Gründen Mitglied.

Martin Schulz bekam davon wenig zu hören, die internen Kritiker hielten sich zurück. Und so tat er das, was er am besten kann: den Op- timisten mimen und die SPD wieder einmal auf ein besseres Morgen hoffen lassen – diesmal in der Opposition. Nur, dass er diese nicht anführen wird, das soll angeblich Arbeitsmin­isterin Andreas Nahles tun. Schulz will aber Parteichef bleiben.

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Martin Schulz machte gute Miene zum bösen Spiel für die SPD

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