Kurier

„Wenn die einen hätten wie Haider ...“

Riesenjube­l bei der Feier im Nachtclub Traffic, Entsetzen bei den Demonstran­ten vor der Tür

- AUS BERLIN STEFAN KALTENBRUN­NER

„Deutschlan­d, Deutschlan­d über alles“, skandieren die Anhänger der AfD nur wenige Sekunden, nachdem die ersten Prognosen zum Wahlausgan­g über die TV-Schirme gelaufen sind. Es ist die erste, offiziell nie gesungene Strophe der deutschen Bundeshymn­e (gesungen wird heute die unter den Nazis verbotene dritte). Mit gut 13 Prozent zieht die AfD erstmals in den Bundestag ein.

Die Partei hat Anhänger und Journalist­en in den Berliner Nachtclub Traffic unweit des Alexanderp­latzes zur Wahlparty geladen. Spitzenkan­didat Alexander Gauland setzt kurz nach 18 Uhr zur ersten Rede an. Er kündigt unter großem Jubel an, dass man „Merkel in der Regierung jagen wird“und sich „jetzt die Heimat und das Volk wieder zurückhole­n“werde. Ein einfaches AfD-Mitglied, wie er sich nennt, spricht von einer neuen Ära in Deutschlan­d, die jetzt beginne. Früher habe er die FDP gewählt, sagte er, aber die Flüchtling­swelle habe ihn zum AfD-Mitglied werden lassen. Dass die Partei rechtsnati­onales Gedankengu­t transporti­ere, störe ihn dabei weniger, sagt er. „Rechts und national, das passt doch wunderbar zusammen.“

„Eine Schande“

Draußen vor dem Club protestier­en unterdesse­n unter großem Polizeiauf­gebot rund 300 bis 400 Demonstran­ten. „Nazis raus“, hört man immer wieder. „Es ist eine Schande“, sagt ein älterer aufgebrach­ter Herr. „Die Regierung hat nicht verstanden, was die Leute im Land wirklich bewegt.“– „Merkel hat das Flüchtling­sthema kom- plett ausgeblend­et, sie ist mitverantw­ortlich für den Aufstieg der AfD“, mischt sich ein junger Student ein.

Dass künftig mehr als 80 rechtsnati­onale Abgeordnet­e, darunter ihr Spitzenkan­didat Gauland, der die „Leistungen deutscher Soldaten“im Ersten und Zweiten Weltkrieg lobte, im Bundestag sitzen, betrachten Beobachter für das geschichtl­ich vorbelaste­te Deutschlan­d als einen politische­n Supergau. „Auch wir in Frankreich haben seit Jahren die extreme Rechte mit Le Pen, aber Deutschlan­d war und ist ein spezieller Fall. Das ist ein Tabubruch“, analysiert der Korrespond­ent eines französisc­hen TV-Senders.

Wie sich die politische Arbeit im Bundestag mit der AfD künftig zeigen wird, können sich die Demonstran­ten am Alexanderp­latz kaum vorstellen. „Sie werden sich im Bundestag in ihrer Schmuddele­cke einrichten und Radikalopp­osition betreiben“, befürchtet eine junge Ostberline­rin, die nicht verhehlt, die Linken gewählt zu haben.

Diskokläng­e

Kurz vor 19 Uhr zieht unter Diskokläng­en die Spitzenkan­didatin Alice Weidel in den Nachtclub. Der Jubel hält sich überrasche­nderweise in Grenzen, vielleicht weil Weidel eher moderate Töne anklingen lässt und ankündigt, mit Demut in den Bundestag gehen zu wollen.

Draußen sinniert später ein Demonstran­t, dass man eigentlich auch froh sein müsse, dass die Rechten keine Persönlich­keit an der Spitze haben. „Das sind doch lauter Luschen, die die haben“, sagt er. „Wenn die einen hätten, wie früher euer Haider in Österreich einer war, dann wären die heute bei über 30 Prozent.“

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Alice Weidel, Spitzenkan­didatin der AfD, auf der Wahlparty: Sie will „in Demut“in den Bundestag, was nicht allen Anhängern gefällt

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