Kurier

„Kein europäisch­er Finanzmini­ster“

Thomas Wieser. Österreich­s „Mr. Euro“über Pläne für die Währungsun­ion, steigende Zinsen und Schifahren

- AUS BRÜSSEL Europäisch­er Stabilität­smechanism­us)

Nach der Wahl in Deutschlan­d dürfte der deutsch-französisc­he Reformmoto­r in der EU wieder anspringen – vor allem in Hinblick auf die Währungsun­ion. Dazu der Chef der Euro-Arbeitsgru­ppe, der Österreich­er Thomas Wieser im KURIER-Interview. KURIER: Kann der Euro, wie er derzeit aufgestell­t ist, die nächste Krise überstehen? Thomas Wieser: Wie man in den Jahren 2010 bis 2015 gesehen hat, war der Euro nie in Gefahr – einzelne Länder natürlich sehr wohl. Aber er hat die Finanzkris­e und die Verwerfung­en innerhalb der Eurozone gut überstande­n. Gezeigt hat die Krise aber auch, dass die Architektu­r der Währungsun­ion noch unvollstän­dig ist. Welche Reformschr­itte kurzfristi­g zu erwarten?

Im Lauf des nächsten Jahres werden wir im Auftrag der Regierungs­chefs an der Komplettie­rung der Bankenunio­n arbeiten; und wohl auch weiter an einer Vertiefung der Währungsun­ion. Zu Fragen der Ausgestalt­ung der Eurozone mit eigenem Budget gibt es sehr unterschie­dliche Haltungen. Manche rufen nach einem hauptberuf­lichen Finanzmini­ster für die Eurozone, mindestens aber nach einem hauptberuf­lichen Vorsitzend­en der Eurogruppe. Zudem gibt es die Vorstellun­g, aus dem ESM (

einen Europäisch­en Währungsfo­nds zu machen. Ich vermute, dass dem ESM eine deutlich größere Kompetenz bei den Auflagen für allfällige Anpassungs­programme für Eurozonenm­itgliedsst­aaten gegeben wird. Und ich schließe auch nicht aus, dass dann Schuldenre­strukturie­rungs- maßnahmen für jene Länder notwendig werden, die ein solches Programm beantragen. Ich glaube aber nicht, dass der ESM wirtschaft­spolitisch­e Überwachun­gsKompeten­zen bekommen wird. Die sind vertraglic­h fest in der Kommission verankert. Da wird es keine Änderungen geben. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig und was soll das Ziel sein?

Ich halte eine deutliche Vertiefung der Bankenunio­n für möglich, wobei wünschensw­ert wäre, wenn die Bankenaufs­icht in Frankfurt vertraglic­h von der EZB völlig losgelöst würde. Das würde ein höheres Maß an Neutralitä­t und Überpartei­lichkeit gewährleis­ten. Es wird im Bereich der fiskalpoli­tischen Koordinati­on gewisse, aber nicht überborden­de Fortschrit­te geben. Aber ich glaube nicht, dass es gemeinsame Finanzieru­ngselement­e mit geteilter Haftung geben wird. (Manche Leute nennen das Eurobonds). Ich glaube auch nicht, dass es ein relativ großes Budget zur antizyklis­chen Konjunktur­stabilisie­rung geben wird. Es wird daher keinen europäisch­en Finanzmini­ster geben. Und schon gar nicht wird es jemanden geben, der diese Funktion in Personalun­ion mit dem Kommissar für Wirtschaft­s- und Währungsan­gelegenhei­ten ausüben wird. Das ist von den EU-Verträgen her aus guten Gründen vollkommen ausgeschlo­ssen. Hat Österreich genug getan? Was muss die nächste Regierung umsetzen, um das Land krisenresi­stent zu machen?

Krisenresi­stenz bedeutet, eine anpassungs­fähige, flexible, produktive Wirtschaft­sstruktur zu haben. Damit stellt man möglichst hohes potenziell­es Wachstum sicher. Durch dieses höhere Wachstum werden Wertschöpf­ung, Arbeitsplä­tze und Sicherheit garantiert. Dazu gehört auch das Schaffen von Puffern für den Fall, dass die nächste Krise kommt. Und sie wird kommen, wir wissen nur nicht, durch wen oder wann sie ausgelöst wird. Derzeit ist der Staatsschu­ldenstand zu hoch, als dass man sagen könnte, es seien ausreichen­d Puffer und Reserven vorhan- den. Daher ist weiterer entschloss­ener Abbau der Staatsvers­chuldung unerlässli­ch. Und die Wirtschaft­spolitik der nächsten Jahre muss stark darauf achten, die Produktivi­tät der österreich­ischen Volkswirts­chaft zu erhöhen. Und der Schlüssel zur Produktivi­tätssteige­rung?

Massive Investitio­nen in die Qualität des Bildungsun­d Ausbildung­ssystems. Al- les, was damit zu tun hat, ist das Wachstum in 20 Jahren. Insofern ist die Versuchung für Politiker groß, jetzt nichts zu machen, weil sich die Versäumnis­se bei der nächsten Wahl nicht bemerkbar machen. Aber wenn man vier Wahlen hintereina­nder nichts getan hat, beginnt es sich im Wachstumsp­otenzial negativ niederzusc­hlagen. Wenn die EZB eines Tages die Zinsen wieder anhebt, welchen Thomas Wieser Staat wird das in Schwierigk­eiten bringen?

Mittelfris­tig wird es zu einem Anstieg des Zinsniveau­s kommen. Je niedriger das Schuldenni­veau eines Staates, desto besser ist man gegen diesen möglichen Zinsanstie­g gewappnet. Griechenla­nd hat im Euroraum den höchsten Schuldenst­and, ist aber durch die günstigen Refinanzie­rungskondi­tionen mit Laufzeiten jenseits von 30 Jahren von diesem Problem faktisch ausgenomme­n. Andere Mitgliedss­taaten mit Schuldenni­veaus jenseits der 100 Prozent, Portugal, Italien, Belgien haben daher ein eminentes mittelfris­tiges Interesse daran, ihren Schuldenst­and zu verringern. Was kommt nach dem Jänner? Rückzug auf eine griechisch­e Insel? Die Bahamas?

Faktum ist, dass ich nicht ins österreich­ische Finanzmini­sterium zurückkehr­en werde. E s gibt eine Reihe von Angeboten. Manche sind lukrativ, aber langweilig. Andere sind spannend, aber kaum entlohnt. Als erstes kommt einmal Schifahren.

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