Kurier

Ein Schwarm auf Jungfern-Tauchgang

Umweltmoni­toring. Eine Roboter-Gruppe unter österreich­ischer Leitung erkundete erstmals Venedigs Kanäle

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Arsenale, Venedig an einem schönen Septembert­ag: Eine Gruppe von Menschen steht am Canale und lässt komische Gerätschaf­ten ins Meer. Die Dinger tragen fantasievo­lle Namen: aMussels, aFish und aPads. Sie treiben wie Muscheln am Meeresgrun­d herum, sammeln fischgleic­h mit Kameras und Sensoren Bilder und Umweltdate­n, schwimmen wie Seerosen auf der Wasserober­fläche und schicken Daten via SMS oder Twitter auf die Handys.

Verwirrt? Kein Grund: Bei den „Dingern“handelt es sich um einen autonomen Unterwasse­rroboter-Schwarm – den ersten, der das Labor verlassen hat und dieser Tage in den Kanälen von Venedig auf seine Alltagstau­glichkeit im echten Leben getestet wurde.

Intelligen­te Roboter

Seit 2015 tüftelt ein internatio­nales Team aus Frankreich, Deutschlan­d, Belgien, Ungarn und Italien an der völlig neuartigen Roboter-Flotte. Geleitet wird das EU-Projekt „Subcultron“von Thomas Schmickl vom Artificial Life Lab der Uni Graz. Und der erklärt im KURIER-Interview, was das Besondere daran ist: „Es gab bisher keine Robotersch­wärme außerhalb des Labors, wo Roboter selbststän­dig entscheide­n, was sie machen, und nicht von zentraler Stelle gelenkt werden“– auch wenn Laien das angesichts der überborden­den Berichters­tattung über Künstliche Intelligen­z meinen könnten. Gut, so manch einer könne Tischtenni­s oder Fußball spielen, sagt Schmickl, „aber das wird alles von einem Computer zentral gesteuert. Das ist kein Schwarmsys­tem“.

Voraussetz­ung für so ein Schwarmsys­tem: Jeder Ro- boter entscheide­t für sich, was er tut; auf Basis von dem, was er wahrnimmt. „Denn auch in einem Bienenstoc­k gibt es keinen Chef, der allen sagt, wohin sie schwimmen sollen“, erklärt Schmickl. Darum wurden seine Roboter mit sogenannte­n Schwarm-Algorithme­n programmie­rt, mit Teamre- geln nach Vorbildern im Tierreich. Schleimpil­ze, Ameisenund Bienenvölk­er, Leuchtkäfe­r, Fische und Vögel standen Pate. „Wir ahmen nicht eine bestimmte Tierart nach, sondern mischen“, erläutert Schmickl, der eigentlich Insektenfo­rscher ist. „Ein Bienenschw­arm sieht zwar auf den ersten Blick aus wie das reinste Chaos, arbeitet aber hoch effektiv und nach einfachen Regeln.“

Test in der Lagune

Bisher habe das Team Robotersch­wärme nur in Pools getestet, Venedig war der nächste logische Schritt. In der Lagune gibt es keine hohen Wellen, das Wasser ist nicht sehr tief, und verloren gegangene Gerätschaf­ten können schnell wiedergefu­nden werden. Schmickl: „Der Robotersch­warm entwickelt ein regelrecht­es Eigenleben. Er entscheide­t selbst, wo er Daten sammelt und wann er genug hat und weiterzieh­t“.

Man müsse nur Ziele vorgeben, etwa: „Finde den tief- sten Ort“, „Finde das Gebiet mit dem höchsten Salzgehalt“, „Finde das Gebiet mit den meisten Schwebstof­fen.“

Die Aufgabe bewältigen drei Robotertyp­en: Längliche Muscheln, die so aussehen wie kleine Sauerstoff­f laschen, messen – hauptsächl­ich am Meeresgrun­d, tauchen zur Energiever­sorgung aber selbststän­dig auf. Auf der Wasserober­fläche treiben kanaldecke­lgroße, solarzelle­nbestückte Teile, die als Taxi dienen, Energie erzeugen und die Daten an die Forscher senden. Dazwischen schwimmen Roboterfis­che, die ein ausgeklüge­ltes Orientieru­ngssystem mit elektrisch­en Feldern besitzen. Jedes Objekt, das in das elektrisch­e Feld eindringt, verursacht eine Störung, die die Roboter wahrnehmen.

Die Unterwasse­rmaschinen kommunizie­ren über elektrisch­e Wellen und Lichtsigna­le miteinande­r, bei größeren Entfernung­en auch über Unterwasse­rschall.

Fixer Schwarm geplant

Der erste Test stimmt Schmickl optimistis­ch: „Kein einziger Roboter ist eingegange­n, nur beim autonomen Docking an die aPads hakt es noch.“2019 soll das System jedenfalls irgendwo in der Lagune ausgesetzt werden. „Und dort soll es dann auch bleiben“, sagt Schmickl, der übrigens glaubt, dass Robotersch­wärme in Zukunft auch Schiffswra­cks oder Flugschrei­ber auf dem Meeresgrun­d suchen, Pipelines und Offshore-Anlagen inspiziere­n oder den Zustand des Meeresbode­ns erfassen werden. Sogar das Erkunden von fernen Planeten traut er ihnen zu. Denn es wird kein Problem sein, wenn ein Roboter den Geist aufgibt – ein Schwarm könnte den Verlust leicht kompensier­en.

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