Das Stück der alternativen Fakten
Kritik. Nestroys „Höllenangst“, sehenswert und erstaunlich unbequem inszeniert im Wiener Volkstheater
„Höllenangst“ist das Stück der alternativen Fakten: Die Reichen und Mächtigen manipulieren die Realität nach Belieben, um noch reicher und mächtiger zu werden. Und die Unmächtigen und Unreichen sind mit Aberglauben und Verschwörungstheorien beschäftigt.
Ähnlich wie bei Shakespeare ist es auch bei Nestroy oft verblüffend, wie genau er unsere Zeit vorausgeahnt zu haben scheint. In Wahrheit ist er natürlich einfach nur ein besonders guter Menschenkenner – und der Mensch ändert sich nicht wesentlich.
Slapstick und Fieber
Im Volkstheater inszenierte Felix Hafner Nestroys bitterböse „Posse“rund um den ExGefängniswärter Wendelin, der in Intrigen taumelt, die er nicht verstehen kann, und der schließlich glaubt, dem Teufel verfallen zu sein. Die Aufführung gibt sich zunächst spröde, gönnt sich dann heftigsten, um Lachen buhlenden Slapstick, und endet als Fiebertraum. Es zählt zu ihren großen Qualitäten, dass sie dennoch immer ein Rätsel bewahrt, eine Atmosphäre der Unsicherheit und Bedrohlichkeit behält.
Hafner hat das Stück übrigens auf pausenlose 105 Minuten eingestrichen. Das ist grundsätzlich gut – nichts ist schlimmer als geschwätzige Nestroy-Inszenierungen. Die Kürzungen sind allerdings so massiv, dass es ohne Vorwissen schwierig ist, die Handlung zu verfolgen.
Thomas Frank geht als Wendelin manchmal hart an die Kabarett-Simpl-Grenze – hat dann aber wieder wunderbare Momente der existenziellen Bedrohung. Zusammen mit Günter Franzmeier als Wendelins Vater gibt er mit viel Slapstick und Wortspielereien dem Publikum immer wieder Gelegenheit zum erleichterten Lachen. Großartig ist Isabella Knöll als Wendelins gewitzte, in schönstes Wienerisch fallende Geliebte. In den übrigen Rollen wird ebenfalls sehr gut gearbeitet.
Clemens Wengers Musik und Peter Kliens Lied-Texte sind schroff und lassen keine Gemütlichkeit auf kommen.
Insgesamt ist das eine sehenswerte, unbequeme Vorstellung, der man nur einen (unfairen) Vorwurf machen kann: Dass sie nicht an Martin Kušejs abgrundtief gnadenlose Inszenierung von 2006 heranreicht.