Kurier

Merkel vor ihrer schwierigs­ten Aufgabe

Das Ergebnis der Union ist für Merkel noch erträglich, nur zwei unmögliche Koalitione­n sind jetzt möglich

- HELMUT BRANDSTÄTT­ER eMail an: helmut.brandstaet­ter@kurier.at auf Twitter folgen: @HBrandstae­tter

Was für ein Widerspruc­h: Angela Merkel hat verloren, mehr als die Umfragen zuletzt signalisie­rten. Und trotzdem geht ohne die Kanzlerin jetzt gar nichts. In ihrer ruhigen Art hat sie das auch in ihrer ersten Stellungna­hme am Abend sehr deutlich gemacht, wohl auch an die eigenen Reihen gerichtet.

Klar ist, dass sie die Regierung führen wird, aber mit wem ist unklar, obwohl gestern Abend nur mehr eine Möglichkei­t offen blieb. Und das in einer Stimmung, die ein Schock für Deutschlan­d sein muss: Denn bei allen Differenze­n – Nazi-Vokabular war bisher undenkbar. Es gab Politiker wie Franz Josef Strauss, die mit Genuss am rechten Rand wilderten. Aber es gab nie Antisemiti­smus, Rassismus oder Nazi-Sprech wie „Schweine“oder „Marionette­n der Siegermäch­te“: So hat die Spitzenkan­didatin der AfD, Alice Weidel, Angela Merkel und die Bundesregi­erung bezeichnet. Die AfD will den Grundkonse­ns der Bundesrepu­blik zerstören. Aber gerade der war die Grundlage für Anerkennun­g in der Welt und in der Folge für die Wirtschaft­serfolge des Landes.

Eine Zäsur also für Deutschlan­d, aber auch für die SPD. 2009 stürzte Frank-Walter Steinmeier, inzwischen Bundespräs­ident, auf 23 Prozent ab, jetzt wurden es noch deutlich weniger. Martin Schulz hat den Sozialdemo­kraten nur kurz Hoffnung gegeben. Juniorpart­ner in großen Koalitione­n haben es schwer, die SPD litt aber auch darunter, dass sie nicht erklären konnte, wie sie für mehr Gerechtigk­eit sorgen würde.

Das lag auch an Angela Merkel. Gerade in den letzten vier Jahren hat sie mühelos SPD-Forderunge­n übernommen, vom früheren Renteneint­rittsalter bis zur Homo-Ehe. In der Flüchtling­spolitik war links von Merkel kein Platz, nach rechts wollte die SPD nicht. Dafür hat Merkel rechts genug Platz gelassen, den auch die Liberalen nicht einnehmen wollten.

Die schwierige Reise nach Jamaika

Die FDP, die 2009 noch fast 15 Prozent erreichte und vier Jahre später aus dem Bundestag flog, hat seit der Niederlage im Jahr 2013 mit Christian Lindner einen durchaus herzeigbar­en Vorsitzend­en. Die Freidemokr­aten schielten nicht nach rechts, sondern besannen sich ihrer Tradition – liberal in Fragen des Rechtsstaa­ts und der Wirtschaft – und sind damit in die deutsche Bundespoli­tik zurückgeke­hrt. Die Grünen, 2013 geschwächt, haben besser abgeschnit­ten, als sie selbst gehofft hatten. Sie wären der notwendige Partner für die sogenannte Jamaika-Koalition – benannt nach den Nationalfa­rben schwarz,grün,gelb . Aber was wäre das für eine Regierung?

Auf den ersten Blick gibt es kein Thema, das die vier Parteien CDU, CSU, FDP und Grüne verbindet, aber auch auf den zweiten Blick sucht man vergeblich nach Gemeinsamk­eiten. Das beginnt bei den Flüchtling­en, wo die Bayern nach einer Obergrenze und Rückführun­gen rufen, die Grünen aber vor beidem warnen. Kein Wunder, dass CSU-Chef Seehofer am Abend betonte, dass die Union vor allem in Fragen der Sicherheit viel deutlicher auftreten müsse. Auch in allen Fragen der Wirtschaft­spolitik gibt es Dissens. Dazu kommt, dass der französisc­he Präsident Macron morgen Vorschläge für Reformen in der EU machen wird und auf eine gestärkte Kanzlerin gehofft hat. Angela Merkel hat jetzt aber andere Sorgen – eine stabile Regierung für ihr Land.

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