Kurier

Kurdistan oder nicht Kurdistan

Referendum. Unabhängig­keitsabsti­mmung trotz großer Widerständ­e

- – STEFAN SCHOCHER

Mit einer lapidaren Ansage hatte der Präsident der kurdischen Autonomie im Nordirak, Masud Barzani, seine Position am Sonntag einzementi­ert: „Wir sind Nachbarn mit dem Irak von diesem Moment an“, sagt er mit Blick auf das zu erwartende Ergebnis des Unabhängig­keitsrefer­endums in der Region am Montag.

Ein historisch­er Tag war dieser Montag – in vielerlei Hinsicht. Geschätzte 5,2 Millionen Menschen waren im Nordirak am Montag aufgerufen, über die kurdische Unabhängig­keit abzustimme­n. Für die allermeist­en Kurden im Nordirak ein Grund zu feiern – wie für viele Kurden in aller Welt. Auch in Wien.

Dass die Abstimmung mit einem überwältig­enden „Ja“ausgehen würde, daran bestand kein Zweifel. Bereits 2005 war die Bevölkerun­g parallel zu den irakischen Parlaments­wahlen in der Sache befragt worden. Das Ergebnis: Knapp 99 Prozent waren damals für die Loslösung vom Irak.

Zugleich aber war es ein Tag, der von schwerwieg­enden Einschnitt­en überschatt­et war. Die Türkei schloss am Montag die Grenzen zur Autonomen Region Kurdistan im Nordirak und suspendier­te ein Programm zur Ausbildung kurdischer Sicherheit­skräfte. Auch der Iran schloss alle Grenzen und kappte alle Luftverbin­dungen nach Erbil. Generell wurde das Referendum internatio­nal abgelehnt. Die USA hatten bis zuletzt versucht, es zu verhin- dern. Unterstütz­ung kam nur von Israel.

Und Bagdad? Iraks Premier Haidar al-Abadi hatte nur Stunden vor Beginn der Abstimmung geschworen, jeden Zentimeter irakischen Territoriu­ms zu verteidige­n, was auch immer es koste. Ein großes Fragezeich­en dabei ist, wie sich schiitisch­e Milizen verhalten, die mit der irakischen Armee verbündet sind, materiell und ideologisc­h aber massiv vom Iran unterstütz­t werden. Am Nachmittag wurden erste Kämpfe solcher Milizen und kurdischer Peschmerga-Einheiten bei Kirkuk gemeldet. In Mossul wurde beobachtet, dass sich schiitsche Milizen auf eine Offensive vorbereite­ten.

Streitfäll­e

Kirkuk ist ein Streitfall zwischen Erbil und Bagdad. Denn abgestimmt wurde am Montag auch in Gebieten, die zwar mehrheitli­ch kurdisch sind, aber nicht mehr zur kurdischen Autonomie gehören – die aber im Zuge des Krieges gegen den IS und dem damit einhergehe­ndem Zerfall der irakischen Armee unter Kontrolle Erbils gerieten. Dazu zählen Kirkuk, Sinjar, Diyala sowie Gebiete um Mosul. Zudem stehen existenzbe­drohende gegenseiti­ge Geldforder­ungen im Raum, die Bagdad und Erbil aber aufgrund der eigenen Verschuldu­ng nicht aufgeben können.

Nicht zu unterschät­zen ist der Einf luss, den der Iran auf Bagdad hat. Und dem Iran ist wohl mehr noch als der Türkei daran gelegen, einen kurdischen Staat zu verhindern. Vor allem fürchtet Teheran Signalwirk­ung für die iranischen Kurden. Zudem ist der Iran an einer Stärkung Bagdads interessie­rt. Der Generalmaj­or der Revolution­sgarden und höchste Militär des Iran, Mohammad Bagheri, nannte das Referendum „inakzeptab­el“und den „Beginn einer Krise“.

Die Türkei hingegen hatte sich in den vergangene­n Jahren mit der faktisch bestehende­n Eigenständ­igkeit der Kurden im Nordirak unter Barzani abgefunden. Die Region ist zu einem wichtigen Exportmark­t für die Türkei geworden. Kurdistan wiederum exportiert nur über die Türkei Öl. Was Ankara und Erbil eint, ist ihre Ablehnung der linksgeric­hteten Untergrund­organisati­on PKK. Die Türkische Position brachten Analysten vor der Abstimmung so auf den Punkt: Ankara könne das Resultat wohl tolerieren, solange man die Kurden in Erbil kontrollie­ren könne.

Und diese Führung unter den Barzanis (der Neffe des Präsidente­n ist Premiermin­ister) will sich anscheinen­d ein Denkmal schaffen. Zugleich braucht sie aber die Mobilisier­ung für die eigene Sache. Denn Masud Barzanis Amtszeit war eigentlich im August 2015 ausgelaufe­n. Er blieb aber im Amt, was durch den Krieg mit dem IS argumentie­rt werden konnte. Dieser Krieg aber kommt nun zu einem Ende.

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