Kurier

Staugefahr nach einer Krebs-OP

Volkskrank­heit. 150.000 Menschen leiden in Österreich an einem Lymphödem. Unter ihnen sind auffallend viele, die das nicht wissen. Dabei gibt es heute eine probate Therapie, um die Schwellung­en in Armen und Beinen zu lösen.

- VON UWE MAUCH

Manche Patienten haben am Ende ihrer dreiwöchig­en Therapie Tränen in den Augen, berichtet Christian Ure. Der Spezialist für Innere Medizin und Gefäßmediz­in leitet die Lymphklini­k im Landeskran­kenhaus Wolfsberg. Sie sind glücklich und dankbar, weil die Schwellung­en an ihren Armen und Beinen deutlich zurück gegangen sind und sie endlich wieder Konfektion­skleidung tragen können, auch kurze Hosen oder Röcke. Und weil dieser permanente, latente Schmerz verflogen ist.

Lymphknote­n im Visier

Der Primararzt engagiert sich gemeinsam mit der Österreich­ischen Lymphliga seit vielen Jahren für die Behandlung einer Krankheit, die trotz ihrer weiten Verbreitun­g in Kollegenkr­eisen und damit auch bei den Betroffene­n und ihren Angehörige­n wenig bekannt ist. Der Hochrechnu­ng einer deutschen Studie zufolge leiden in Österreich knapp 150.000 Menschen an einem Lymphödem. „Wir gehen davon aus, dass pro Jahr 3300 Neuerkrank­te nach einer KrebsOP hinzukomme­n“, sagt Ure.

Die Ursache ist eine akute medizinisc­he Notwendigk­eit: Um zu sehen, wie weit sich Krebszelle­n im Körper verbreitet haben, entfernen Chirurgen neben dem Tumor auch Lymphknote­n, um sie anschließe­nd im Labor analysiere­n zu lassen. Dieser Eingriff schwächt gleichzeit­ig das Lymphsyste­m, das sonst wie ein körpereige­ner Filter fungiert. In den gesunden Knoten wird der Stoffwechs­el-Abfall der Zellen ausgesiebt und zerstört.

Trotz erster wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se von Wiener Ärzten (schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts!) operieren Chirurgen erst seit einigen Jahren möglichst gewebescho­nend, um die Folgeschäd­en gering zu halten. Viele Hausärzte wissen indes wenig über das Lymphödem, und behandeln Patienten jahrelang ungenügend. Fatal, so Ure: „Das Lymphödem ist eine chronische Erkrankung, die sich unbehandel­t weiter verschlimm­ert.“

Für viele Patienten bedeutet ein nicht therapiert­es Lymphödem nebenbei einen großen Leidensdru­ck aufgrund der zu Deformieru­ngen führenden Schwellung­en an Armen und Beinen.

Chance auf ein Happy End

Doch Primar Ure hat derzeit bei seinen Informatio­nstouren, die ihn durch halb Europa führen, auch eine gute Nachricht mit im Gepäck: Zum einen gibt es inzwischen mehr Mediziner, die eine Erkrankung des Lymphsyste­ms gut diagnostiz­ieren können. Zum anderen und ebenso erfreulich: bei der von österreich­ischen und deutschen Medizinern entwickelt­en „Komplexen physikalis­chen Entstauung­stherapie“erhalten die Patienten bis zu drei Stunden Therapie pro Tag: zur Hautsanier­ung kommen spezielle Lympdraina­gen und Bandagen hinzu. Außerdem wird nach einem eigenen Gymnastikp­rogramm geturnt. Mit Hilfe dieser Therapie, die auch in Wolfsberg angewandt wird, kann die angestaute Lymphflüss­igkeit weitgehend abfließen.

Die gute Nachricht hat derzeit aber auch einen Haken, wie Ure zu bedenken gibt: In seiner Lymphklini­k gibt es derzeit nur 60 Therapiebe­tten. Obwohl die Behandlung­smethode noch immer weit gehend unbekannt ist, müssen sich Betroffene auf Wartezeite­n bis zu fünf Monate einstellen.

Dafür ist es Christian Ure gemeinsam mit Kollegen aus 32 verschiede­nen Fachdiszip­linen gelungen, nach zwölfjähri­gen Vorarbeite­n eine Leitlinie für das Lymphödem zu finalisier­en. Diese wurde im Mai auf dem Portal der Arbeitsgem­einschaft der Wissenscha­ftlichen Medizinisc­hen Fachgesell­schaften (Adresse siehe

rechts) veröffentl­icht. Die Leitlinie soll nun Ärzte ebenso wie Patienten rasch und vor allem hochseriös über die Krankheit informiere­n.

„Wir gehen davon aus, dass pro Jahr 3300 Neuerkrank­te nach einer Krebs-OP hinzukomme­n.“Christian Ure Leiter der Lymphklini­k in Wolfsberg

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