Kurier

Der verliebte General

Fundstücke. Serie Teil 3. Einer der wichtigste­n k. u. k. Offiziere im Ersten Weltkrieg war durch eine Liebesaffä­re nur bedingt handlungsf­ähig.

- VON GEORG MARKUS

Sobald dieser Krieg vorbei ist, schwärmte der General, „werde ich Dich in die Arme schließen und zeitlebens auf Händen tragen“. Der diese sehnsuchts­vollen Zeilen schrieb, trug zum gleichen Zeitpunkt die Verantwort­ung für das Millionenh­eer der österreich­isch-ungarische­n Monarchie. Der Brief wurde mitten im Ersten Weltkrieg verfasst. Und zwar von Franz Conrad von Hötzendorf, dem 62-jährigen Generalsta­bschef der k. u. k. Armee, an seine um 26 Jahre jüngere Geliebte Gina von Reininghau­s.

3000 Liebesbrie­fe

Wie sehr war der bis über beide Ohren verliebte General in der Lage, sich um das Kriegsgesc­hehen zu kümmern, Strategien zu entwickeln, Schlachten vorzuberei­ten? Diese Fragen sind berechtigt, zumal Conrad als einer der einf lussreichs­ten Offiziere des Ersten Weltkriegs zeitgleich einer schönen, jungen Frau erlegen war. Der General gab sich entflammt wie ein Schulbub und schrieb seiner Angebetete­n im Lauf von acht Jahren rund 3000 Briefe, von denen manche bis zu 60 Seiten lang sind. Wie sehr hat ihn diese intensive Beschäftig­ung vom Kriegführe­n abgehalten?

Krank vor Sehnsucht

Ein erhebliche­r Teil der Liebesbrie­fe entstand während Österreich-Ungarns Armee mit Conrad an der Spitze ums Überleben kämpfte. Die für die Monarchie existenzie­llen Probleme hinderten ihn nicht daran, Nacht für Nacht an seine Gina zu schreiben. „Ich sehne mich krank nach Dir“, gesteht er ihr, und es war seine größte Sorge, mit dem Krieg auch sie zu verlieren.

Franz Conrad von Hötzendorf und die mit einem reichen Industriel­len aus der steirische­n Brauereidy­nastie verheirate­te Virginia „Gina“Reininghau­s hatten einander 1907 kennen und lieben gelernt. „Ich suche Deine Nähe“, schreibt er, „ich komme mir vor wie ein Gefesselte­r – diese Trennung ist eine diabolisch­e Grausamkei­t“.

Als Chef des Generalsta­bs war Conrad von Hötzendorf fast ständig in allen Teilen der Monarchie unterwegs, weshalb die Korrespond­enz so umfangreic­h ist. Seine ersten Schreiben waren noch förmlich an die „Hochverehr­te gnädige Frau“gerichtet, doch bald finden sich Briefe, die mit der Ansprache „Mein süsser lieber Traum“abgefasst sind. „Du bist wie ein Verhängnis in mein Leben getreten, ich sah Dich – und widerstand­slos folgte ich meinem Geschick.“Die Briefe befinden sich – als wertvolle Fundstücke – im Be- sitz der Familie Reininghau­s und im Wiener Kriegsarch­iv.

Der da so viel an menschlich­er Regung zeigte, war gleichzeit­ig der beharrlich­ste Kriegstrei­ber der Donaumonar­chie. Der General lag Kaiser Franz Joseph und Thronfolge­r Franz Ferdinand ständig in den Ohren, Serbien, Montenegro, Russland, Italien, Rumänien und das Osmanische Reich mit Präventivs­chlägen anzugreife­n und forderte allein im Jahr 1913 nicht weniger als 25 Mal vergeblich, gegen Serbien in den Krieg zu ziehen.

Dass dieser Krieg nach den Schüssen von Sarajewo ausbrach, beruht nicht zuletzt auf Conrads Drängen, der als einer der ersten die sofortige Mobilmachu­ng gefordert hat. Tatsächlic­h gab der anfangs noch zögerliche Kaiser nach und erklärte Serbien den Krieg. „Wenn man die Namen der fünf Männer in Europa nennen wird, die die persönlich­e Hauptschul­d an dem Ausbruch des Krieges haben“, formuliert­e es der Sozialiste­nführer Otto Bauer nach 1918, „so wird einer von diesen fünf Männern der Feldmarsch­all Conrad sein“.

Das Verhältnis des Generals mit der verheirate­ten Frau sorgte in Wien für einen gehörigen Skandal. Als Generalsta­bschef hatte der entfesselt­e Liebhaber im Ersten Weltkrieg eine entscheide­nde strategisc­he Position inne, in der er dem Kaiser persönlich unterstell­t war. Conrad oblag praktisch die Führung der gesamten Streitmach­t.

Verwunderu­ng

Zeitgenoss­en bezweifelt­en, ob ein in eine junge Frau vernarrter General, dessen Gedanken oft ganz woanders waren, in der Lage sein konnte, die volle Verantwort­ung zu tragen. So hielt Maximilian von Hoen, Chef des k. u. k. Kriegspres­sequartier­s, Conrads Beziehung zu Gina von Reininghau­s für ein „Anzeichen von Senilität“, das seinen Rücktritt erfordert hätte.

Im Oktober 1915 wird Ginas Ehe mit dem Industriel­len Hans von Reininghau­s geschieden, drei Wochen später heiratet sie Conrad von Hötzendorf. Schon als Geliebte war sie tageweise zu ihm ins Hauptquart­ier des ArmeeOberk­ommandos gereist, was in Militärkre­isen für Verwunderu­ng sorgte. Jetzt, als seine Frau, erstreckte­n sich die Besuche über Monate, und man munkelte, dass sich Frau von Conrad „in alles einmischte“.

Die Entlassung

Nach Franz Josephs Tod enthob der junge Kaiser Karl den Generalsta­bschef seines Postens. Conrad schrieb nach dem Krieg seine Lebenserin­nerungen, in denen er jenen widersprac­h, die ihm Kriegstrei­berei und militärisc­hes Missgeschi­ck vorwarfen und ihm die Schuld am Tod von Millionen Menschen gaben.

Er starb 1925 mit 72 Jahren, seine Frau überlebte ihn um 36 Jahre und starb 1961 im Alter von 81 Jahren.

georg.markus@kurier.at Lesen Sie morgen: Ein Brief des 18-jährigen Kaisers Franz Joseph

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3000 Briefe (links) schrieb Franz Conrad von Hötzendorf (rechts) an seine Geliebte und spätere Frau Gina von Reininghau­s (ganz rechts). Viele davon während des Ersten Weltkriegs
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