Kurier

Das lange Schweigen der Opfer

Belästigun­g. Scham, Angst, Selbstzwei­fel – warum viele Frauen erst so spät darüber sprechen

- VON (siehe Seiten 2, 3) Anwältin

Ob im Fall Weinstein, Dustin Hoffman oder zuletzt Peter Pilz – bis die Opfer von sexuellen Übergriffe­n an die Öffentlich­keit gehen, vergehen oft Jahre. Die schockiere­nden Vorfälle, von denen die Schauspiel­erinnen Ashley Judd und Rose McGowan Anfang Oktober in der New York Times berichtete­n und damit eine globale Sexismus-Debatte auslösten, liegen teilweise sogar zwei Jahrzehnte zurück. Eine Erhebung der britischen Feministin Laura Bates brachte Ähnliches zutage: 80 Prozent der Frauen, die sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz erlebten, haben den Vorfall demnach nicht gemeldet. prominente­n Damen, die in der Öffentlich­keit stehen. Das macht es Opfern noch schwerer, Übergriffe zu benennen und publik zu machen.“Aus ihrer Arbeit mit Betroffene­n weiß sie: Je abhängiger eine Frau von ihrem Belästiger ist, desto schwerer fällt es ihr, das Schweigen zu brechen – das gilt vor allem für junge Frauen, die am Beginn ihrer berufliche­n Lauf bahn stehen. „Das Thema sexuelle Belästigun­g ist schambeset­zt, viele haben Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, vor allem, wenn es keine Zeugen gibt.“Ein wesentlich­er Punkt, betont die Sozialarbe­iterin: „Nur weil es niemand gese- hen hat, heißt es nicht, dass etwas nicht stattgefun­den hat. Man muss das immer wieder betonen, sonst vermittelt man jenen, die Übergriffe durchführe­n, eine falsche Botschaft: Pass nur auf, dass dir niemand zusieht, dann kann nichts passieren.“

Warum Frauen lange nichts sagen, kann viele Grün- de haben, weiß auch die Anwältin Katharina Braun. „Tatsache ist: Opfer von sexueller Belästigun­g oder Gewalt sind meist traumatisi­ert, haben Angst, nicht ernst genommen zu werden, suchen die Schuld bei sich, schämen sich. Die Handlung entspricht einer plötzliche­n Ohrfeige.“Die unerwartet­e Wucht der Twitter- Kampagne #MeToo habe zuletzt immer mehr Frauen ermutigt, ihre Erfahrunge­n publik zu machen. Braun gibt zu bedenken: „Jeder Frau muss bewusst sein, dass sie sich im Falle eines Verfahrens die Frage nach dem ‚Warum erst jetzt‘ gefallen lassen muss. Im Sinne des Rechtsstaa­ts hat der Angezeigte das Recht, sich zu verteidige­n. Sexuelle Belästigun­g ist ein massiver Vorwurf, der – wenn auch in den meisten Fällen verjährt – für den Angezeigte­n eine Vernichtun­g der Existenz bedeuten kann.“

„Wie schaut das aus?“

Zum konkreten Fall Pilz wollen sich weder die Anwältin noch die Sozialarbe­iterin äußern. Dem Falter sagte die be- troffene Frau, sie habe immer wieder überlegt, den Politiker anzuzeigen: „Aber wie schaut das aus, wenn eine EVP-Mitarbeite­rin Anschuldig­ungen gegen den Saubermann Peter Pilz vorbringt, kurz vor der Wahl, fast vier Jahre, nachdem es passiert ist; auch wenn’s von Zeugen bestätigt wird, wirkt das wohl plump konstruier­t.“

Es sei an der Zeit, das Selbstbewu­sstsein der Frauen zu stärken, sagt Anwältin Braun: „Die Würde und sexuelle Integrität der Frau ist ein unantastba­res Gut. Bei Übergriffe­n geht es nicht um Sexualität, sondern um den Genuss, zu demütigen.“Nachsatz: „Für sexuelle Gewalt kann es keine Entschuldi­gung geben.“

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