Kurier

„Eine alles verschling­ende Jauchegrub­e“

Britisches Parlament. Ein Sündenpfuh­l seit immer – die Premiermin­ister verwenden Akten auch zur Erpressung

- AUS LONDON

„Ich gebe mir selbst die Schuld dafür, so dumm gewesen zu sein“, erklärte ein mutmaßlich­es Vergewalti­gungsopfer unter dem Pseudonym Amanda vorgestern in einer

Talk-Show, „Wenn ich nicht in diese Szene gekommen wäre, hätte man mich nicht attackiert.“Sie sprach nicht etwa von kriminelle­n Kreisen, sondern vom britischen Unterhaus. Die ehemalige konservati­ve Parteiakti­vistin ist eine von vielen in Westminste­r, die im Sog der „Me too“-Enthüllung­swelle zu sexuellen Übergriffe­n ihre Stimmen erhoben haben.

Rücktritte

Gegen zehn Parlamenta­rier wurden bisher parteiinte­rne Untersuchu­ngen angestreng­t, sechs davon wurden suspendier­t oder mussten zurücktret­en: drei Labour-Abgeordnet­e, drei Tories, darunter Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon. Premiermin­isterin Theresa May ließ durchblick­en, dass wohl noch weitere Enthüllung­en folgen würden. Es heißt, die Polizei habe im Büro-Computer ihres engen Vertrauten, des First Secretary of State und de facto Vizepremie­rs Damian Green harte Pornografi­e gefunden. Green wurde außerdem von einer jungen Journalist­in wiederholt­er unerwünsch­ter Avancen bezichtigt, beharrt aber auf seiner Unschuld.

Die anonyme Augenzeugi­n Amanda charakteri­sierte das britische Parlament indessen als „eine alles verschling­ende Jauchegrub­e des untolerier­baren Verhaltens nur an sich selbst und ihren Karrieren interessie­rter Personen. Alles ist erlaubt.“

Tatsächlic­h blieb der Mann, den sie der Vergewalti­gung beschuldig­te, nach Einstellun­g polizeilic­her Ermittlung­en auch von disziplinä­ren Konsequenz­en verschont. Amandas Beschwerde­n waren auch bei Gavin Williamson, dem konservati­ven Chief Whip (der antiquiert­e Ausdruck für „Club- Chef “), sowie beim für parlamenta­rische Abläufe zuständige­n „Leader of the House“, der ebenfalls konservati­ven Andrea Leadsom deponiert worden. Ob sie tatsächlic­h folgenlos blieben, ist allerdings längst nicht so sicher. Denn wie Kenner des britischen politische­n Lebens wissen, ist das Sündenregi­ster, das Abgeordnet­e erpressbar macht, seit jeher ein gern gebrauchte­s Instrument der Whips zur Disziplini­erung der eigenen Reihen.

Auch Margaret Thatcher umgab sich gern mit Ministern, über die sie unangenehm­e Informatio­nen in der Schreibtis­chlade liegen hatte. Theresa May ist mit solch zynischen Techniken wohl vertraut. Allerdings verfügt sie nur über eine hauchdünne, von jedem Rücktritt potenziell gefährdete Parlaments­mehrheit, sowie ein vom Brexit tief gespaltene­s Kabinett. Zudem wurde ein Großteil ihrer Munition letzte Woche in einer an Journalist­en geschmugge­lten, schwarzen Liste konservati­ver Sexualtäte­r verschosse­n.

Viele vermuteten deren Ursprung im Büro des Chief Whip, und prompt berief May am Donnerstag ausgerechn­et jenen, in öffentlich­en Ämtern bisher unerprobte­n Gavin Williamson anstelle von Michael Fallon zum neuen Verteidigu­ngsministe­r. Es heißt, er habe sich selbst für den Posten vorgeschla­gen.

Immerhin konnten sich die Chefs aller Parlaments­fraktionen darauf einigen, eine Arbeitsgru­ppe zur Gründung einer übergeordn­eten Instanz ähnlich der österreich­ischen Gleichbeha­ndlungskom­mission zu bilden. Vielleicht ist das ja der Anfang vom Ende des Systems Westminist­er, das Missetaten mit Ministeräm­tern belohnt.

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Houses of Parliament in London: Die geheime Liste konservati­ver Sex-Täter wurde an die Öffentlich­keit geschmugge­lt
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Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon musste zurücktret­en
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Theresa Mays geheimes Pulver wurde schon verschosse­n

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