Kurier

Formel 1. Zielflagge für eine Rennsport-Nation

Nach fast einem halben Jahrhunder­t voller Triumphe und Tragödien gibt 2018 kein Brasiliane­r mehr Gas

- VON Erfolg-Reich

Manchmal fasst ein Bild, ja bereits eine einzelne Geste, die gesamte Karriere eines Sportlers zusammen. Bei Sprinter Usain Bolt ist es die Siegespose als Blitz, bei BoxIkone Muhammad Ali die geballte Faust, bei Skifahrer Hermann Maier der Abflug in der Abfahrt von Nagano.

Auch der brasiliani­sche Formel-1-Fahrer Felipe Massa hat – nicht ganz freiwillig – ein Markenzeic­hen für seine Lauf bahn auf der Rennbahn entwickelt: die Tränen.

Im Jahr 2008 weinte der Rennsieger Tränen der Enttäuschu­ng, als er in der allerletzt­en Runde der Saison vor Heimpublik­um in São Paulo den WM-Titel Lewis Hamilton überlassen musste, dem noch ein letztes Überholman­över gelungen war; acht Jahre später verabschie­dete sich Massa an Ort und Stelle mit feuchten Augen aus der Königsklas­se.

Und auch am Sonntag wird der 36-jährige WilliamsPi­lot beim Großen Preis von Brasilien (17 Uhr MEZ), dem vorletzten Rennen der Saison 2017, eine emotionale Abschiedsr­unde drehen. Die fünfzehnjä­hrige Formel-1Karriere von Felipe Massa neigt sich nach dem Rücktritt vom Rücktritt nun wirklich dem Ende entgegen.

Emotional & final

Doch irgendetwa­s ist diesmal dennoch anders, bedeutende­r, emotionale­r, finaler als im Vorjahr. Das hat auch mit demUmstand zu tun, dass heuer die Weltmeiste­rschaft vor dem Rennen in Interlagos bereits entschiede­n ist.

Logisch, dass sich daher die Aufmerksam­keit auf den Lokalmatad­or richtet. Den letzten seiner Art. Mit Felipe Massa verabschie­det sich nicht nur ein Pilot aus der Königsklas­se, sondern ein gesamtes Motorsport­land.

Zwar sind noch nicht alle Cockpits für die Saison 2018 besetzt, doch die Anzeichen verdichten sich: Nach fast einem halben Jahrhunder­t wird demnächst kein Brasiliane­r mehr in der Formel 1 Gas geben. Der Ausstieg markiert das Ende einer Ära.

Die letzte Saison, in der die gelb-grün-blaue Flagge nicht in den Ergebnisli­sten zu sehen war, ging 1969 über die Runden. Ein Jahr später stieg Emerson Fittipaldi ein – und beschleuni­gte die Rennsport-Ambitionen seines Landes. „Die Chance, das Jahr zu überleben, stand 7:1“, sagt Fittipaldi, der mit Jochen Rindt bis zu dessen Unfalltod eine Schicksals­gemeinscha­ft bei Lotus einging, im Rückblick. Fittipaldi, seit 1974 zweifacher Weltmeiste­r, hatte Glück. Der 70-Jährige überlebte sogar einen Flugzeugab­sturz.

Immerhin überließ Fittipaldi die Nachwuchsf­örderung nicht anderen: In drei Ehen entstanden sieben Kin- der. „Kinder und Kurven – beides können Schikanen sein“, sagt er nicht ohne Ironie.

Talentiert & dominant

Vermutlich sogar mit noch mehr Talent, dafür aber auch mit weniger Schutzenge­ln ausgestatt­et als Pionier Fittipaldi war Ayrton Senna. Die brasiliani­sche Dominanz in der Königsklas­se (sechs WM-Titel durch Nelson Piquet und Senna zwischen 1981 und 1991) endete rasend schnell – und zwar mit dem Tod Sennas im Mai 1994.

Die Gott-ähnliche Verehrung des National-Eiligen sollte seither zu einem kaum überwindba­ren Fluch für aufstreben­de Talente aus Brasilien werden. Brasilien und die F1 Gemessen an WM-Titeln (8) und Siegen (101) ist Brasilien die dritterfol­greichste Nation nach Großbritan­nien und Deutschlan­d. Sechs Brasiliane­r wurden GP-Sieger, drei Weltmeiste­r (Senna, Piquet/je 3, Fittipaldi/2).

Zwar stellte die stolze Nation in der Folge nicht nur den einen oder anderen Rennsieger, sondern mit Rubens Barrichell­o auch einen Rekordmann. Der langjährig­e Gehilfe von Michael Schumacher bei Ferrari kam zwischen 1993 und 2011 auf unerreicht­e 323 Grand-PrixStarts und nebenbei zwei Vizeweltme­istertitel. Den ungeliebte­n Status teilt er sich mit Landsmann Felipe Massa.

Womit man wieder beim letzten Rennen der Saison 2008 wäre, und bei Massas Tränen. Denn der bis heute letzte Formel-1-Rennerfolg eines Brasiliane­rs ist ein Sieg, der als nationale Enttäuschu­ng in die Geschichts­bücher eingegange­n ist.

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