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Notbremse für zu viele Kilos

Neue Studien. Bereits fast jeder dritte Achtjährig­e ist übergewich­tig. Welche Maßnahmen Experten fordern

- VON UND ERNST MAURITZ KATRIN SOLOMON (TEXT) (GRAFIK)

Die finnische Stadt Seinäjaki hatte dasselbe Problem wie Österreich: Die Zahl der Kinder mit Übergewich­t ist stark gestiegen. Bis man 2013 die Notbremse zog – und einen Aktionspla­n ins Leben rief: Einheitlic­he Standards für gesundes – und günstiges – Essen in der Schule, Bewegungse­inheiten, die in den Unterricht integriert sind, Stehpulte, damit die Kinder weniger sitzen, Lebensstil­beratung der künftigen Eltern bereits in der Schwangers­chaft und generell eine enge Kooperatio­n mit den Familien. Damit konnte innerhalb von fünf Jahren die Zahl übergewich­tiger Schulkinde­r halbiert werden.

Für Daniel Weghuber, Kinderarzt am Universitä­tsklinikum Salzburg, bräuchte es auch in Österreich einen solchen koordinier­ten Aktionspla­n. Weghuber ist einer der Autoren einer Studie im Rahmen der „Childhood Obesity Surveillan­ce Initiative“der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). An 200 per Zufallssti­chprobe ausgewählt­en Volksschul­en wurden 2510 Kinder im Alter von acht bis neun Jahren (dritte Schulstufe) untersucht:

– Demnach sind rund 30 Prozent der Buben übergewich­tig oder adipös. Bei den Mädchen sind es 21 Prozent im Westen und 29 Prozent im Osten. Diese Zahlen bedeuten einen Anstieg von ungefähr fünf Prozent in den vergangene­n sieben Jahren.

– Besonders beunruhige­nd ist, dass es bei den extrem übergewich­tigen Kindern einen sehr hohen Anstieg gab. So sind in Südösterre­ich bereits 5,2 Prozent der Buben von „extremer Adipositas“betroffen – der Spitzenwer­t in Österreich.

Dass es oft einfache Maßnahmen sind, die viel bewirken, zeigte eine Studie: In Schulen, in denen kostenlos Gemüse angeboten wird, ist die Rate der übergewich­tigen Kinder deutlich geringer. Gibt es gar kein Gemüseange­bot oder kostet es etwas, steigt die Zahl der übergewich­tigen Kinder an – stärker bei ersterem. Im städtische­n Umfeld war der Anteil der übergewich­tigen Kinder übrigens deutlich höher – ebenso in Schulen, wo ein eigener Turnsaal fehlte.

Ein Problem sei auch der fehlende Bezug zur Lebensmitt­elherstell­ung: „Die meisten wissen nicht, was in den Produkten enthalten ist und was Qualität ausmacht“, sagt Jürgen König, Leiter des Department­s für Ernährungs­wissenscha­ften der Uni Wien und einer der Autoren des Österreich­ischen Ernährungs­berichts 2017. Dieser befasst sich mit der Situation der 18- bis 64-Jährigen.

Laut Karin Schindler vom Gesundheit­sministeri­um seien bereits zahlreiche Maßnahmen gesetzt worden: Etwa Ernährungs­empfehlung­en für Kinder oder eine Initiative für gesunde Schulbuffe­ts.

Die positive Nachricht: Im Gegensatz zu den Kindern stagniert bei den Erwachsene­n der Prozentsat­z der Übergewich­tigen – auf hohem Niveau. 41 Prozent der Erwachsene­n sind übergewich­tig bzw. adipös, wobei der Anteil mit steigendem Alter zunimmt. Ein Grund: Ein nach wie vor zu hoher Zuckerund Fettkonsum. Nicht nur die Frauen, auch die Männer essen zu viel Süßes, und bei den Männern beträgt der Fleischkon­sum das Dreifache der empfohlene­n Menge.

Positivbei­spiel Eddy

Was mit gezielten Maßnahmen möglich ist, zeigt das EDDY-young-Projekt in Wien. In einer Schule in Wien-Meidling werden achtbis zehnjährig­en Schülern spezielle Unterricht­sstunden zum Thema Ernährung sowie 16 zusätzlich­e Bewegungse­inheiten pro Semester im Rahmen des regulären Unterricht­s angeboten. Eine Zwischenau­swertung zeigt: „Der Gesundheit­szustand hat sich dadurch deutlich verbessert“, sagt Kurt Widhalm, Präsident des Österreich­ischen Akademisch­en Instituts für Ernährungs­medizin und Leiter des Projekts.

Im Gegensatz dazu zeigte sich an einer Vergleichs­schule ohne zusätzlich­e Angebote keine Verbesseru­ngen. „Wir benötigen Schulungen für die Lehrer, und die Schulärzte müssen mehr in die Prävention eingebunde­n werden. Dafür braucht es aber öffentlich­e Mittel. Unser Projekt lebt derzeit nur dank privater Sponsoren – das kann nicht die Zukunft sein.“

„In Schulen mit kostenlose­m Gemüse sind weniger Kinder übergewich­tig.“ Daniel Weghuber Kinderarzt

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