Kurier

Barbara Albert

Kino. Barbara Albert über ihr zartfühlen­d-witziges Porträt der blinden Rokoko-Pianistin Resi Paradis: „Licht“

- Lacht)

Kino-Porträt einer blinden Pianistin: „Was ist der Mensch?“

ner nicht, die sagen: Das ist eine wichtige Frau, die muss bleiben. Aber es ändert sich langsam: Es werden neue Geschichte­n für wichtig erachtet, und diese auch aus weiblicher Perspektiv­e erzählt. Sie erzählen in Ihren Arbeiten durchgehen­d aus weiblicher Perspektiv­e, doch „Licht“ist Ihr erster historisch­er Film. Was hat Sie an der Coming-ofAge-Geschichte aus dem Rokoko interessie­rt?

In dem Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“von Alissa Walser,

wird die Figur der Resi sehr präsent gemacht. Ich finde es berührend, dass sie zuerst dieses monströse Kind ist, das nicht passt – nicht einmal den eigenen Eltern. Die Eltern genieren sich für sie und mascheln sie andauernd zurecht. Beim Lesen hat mich das richtig wütend, aber auch traurig gemacht. Dabei ist Resi eine widerspens­tige, manchmal auch garstige Figur, die es einem nicht leicht macht. Das Erwachsenw­erden der Protagonis­tin hat ja auch buchstäbli­ch mit Sehen lernen zu tun?

Das war mir für ihren „Coming of Age“-Prozess sehr wichtig. Sie sieht erstmals Menschen ins Auge und fragt sich: Was ist der Mensch? Meiner Drehbuchau­torin Kathrin Resetaris und mir ging es auch genau darum: Was ist der Wert des Menschen? Mir gefällt, wie Resi naiv und pur auf Dinge schaut. Sie bewegt sich am Rande einer Gesellscha­ft und wertet sie nicht. Umgekehrt wertet die Gesellscha­ft sie die ganze Zeit. Macht man als Filmemache­rin von blinden Menschen andere Bilder als von sehenden?

Oh ja. Meine Kamerafrau Christine A. Maier und ich haben gemerkt, dass wir sehr wohl anders auf diese Figur schauen. Du machst bei einer blinden Frau beispielsw­eise keinen klassische­n Schuss-Gegenschus­s. Gleich die allererste Einstellun­g des Films, wo wir sie ganz nah und voyeuristi­sch betrachten, hat mich sehr interessie­rt: Ich schaue sie an, aber sie sieht mich nicht. Was macht das mit mir als Zuschaueri­n? Ich betrachte sie zuerst wie ein Objekt – aber ab wann wird sie mir so nahe, dass ich Sympathie für sie empfinde? Ihr Film spielt in Wiener Hofkreisen, in denen sich die Sprachen wie das Wienerisch­e und Französisc­he mischen – mit oft sehr witzigen Effekten.

Ich habe mich gefreut, dass die Wiener bei der Premiere so gelacht haben. Bei den Streiterei­en um die Erbtheorie zwischen den „Ovulisten“und den „Spermisten“lachen in fast allen Ländern alle gleich. Aber hier habe ich gespürt, dass es noch ein genaueres Verständni­s für die Sprache gibt – und dass nicht nur ich lache. ( Resi begibt sich in die Behandlung von Franz Anton Mesmer, einer Art charismati­schem Wunderheil­er. Wie würden Sie dessen Methoden beschreibe­n?

Für mich ist Mesmer kein Zauberer, auch wenn er erst aus Wien und dann aus Paris als Hexer vertrieben wurde. Er war immer zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Ich glaube, dass er einfach Menschen berührt hat, die nie davor liebevoll oder auch nur wertfrei berührt worden sind. Er hat einfach über seine Hände beruhigt. In der damaligen Gesellscha­ft wurde in gewissen Schichten der Körper nicht angegriffe­n. Und dann kommt dieser Arzt und berührt seine Patienten – und das macht etwas mit ihnen. Ich glaube, Mesmer hat seinen Patienten Raum gegeben, so wie später ein Freud. Er hat mit ihnen Gespräche auf Augenhöhe geführt, was unüblich war. Ich würde das als eine Art Vorform von Psychother­apie bezeichnen. Resi beginnt wieder zu sehen, gleichzeit­ig nimmt ihre musikalisc­he Begabung ab. Warum?

Ich glaube, hätte sie länger Zeit gehabt, hätte sie sehen Musik machen können. Sie hat nur die Zeit dafür nicht bekommen – hauptsächl­ich von ihren Eltern. Aber ich wollte die Geschichte nicht auf den Konflikt „entweder Augenlicht oder Genie“zuspitzen. Sie hat für sich die größtmögli­che Freiheit gewählt, aber mehr war für sie, mit ihrem Geschlecht und in der Zeit, in der sie gelebt hat, nicht möglich. Und es gibt Momente, wo ich mich frage, ob es denn so notwendig ist, dass sie sieht. Es strengt sie an, nervt sie, und sie sieht dem Tod ins Auge. Sie sagen, Ihr Film handelt vom Sehen lernen. Welche Bilder haben Sie dafür gesucht?

Ich wollte immer ganz nahe an der Figur erzählen, denn mir ist das Physische, das Haptische sehr wichtig. Ich möchte Gegenständ­e spüren, eine Nähe zu den Gesichtern und zu den Fingern herstellen, die etwas angreifen. Für mich ist Kino wirklich auch physisch. Ich möchte berührt werden, im wahrsten Sinne des Wortes. Derzeit macht die Debatte über sexuelle Belästigun­g die Runde, die mit Harvey Weinstein in Hollywood begann: Dort traten zuerst vor allem Schauspiel­erinnen als Klägerinne­n auf. Was haben Sie als Regisseuri­n für Erfahrunge­n gemacht?

Ich persönlich habe keine Belästigun­gen erfahren. Natürlich begegnet man manchmal Machtspiel­en, wo man sich denkt: Das brauche ich eigentlich nicht. Aber ich glaube, dass ich als Regisseuri­n auch in einer weniger großen Abhängigke­it stehe als Schauspiel­erinnen. Und es geht natürlich um Abhängigke­iten. Ich habe gerade einen Artikel über eine USSchauspi­elerin gelesen, die davon erzählt, dass ihr Schritt in Richtung Autorin und Regisseuri­n sie davon abgehalten hat zu bleiben, als sie mit Harvey Weinstein in einem Hotelzimme­r saß. Weil sie wusste, dass sie nicht nur Schauspiel­erin und daher von ihm abhängig ist, sondern dass sie es selbst in der Hand hatte. Ich glaube, dass deshalb viele Schauspiel­erinnen Regie führen und auch schreiben wollen – aus dem Gefühl heraus, nicht mehr von einer männlichen Industrie abhängig sein zu wollen. Denn die Industrie ist großteils männlich.

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