Kurier

Geburtsstu­nde des dritten Geschlecht­s

Intersexue­lle. Das Bundesverf­assungsger­icht in Deutschlan­d erlaubt eine Eintragung in die Geburtsurk­unde. Auch Tausende Österreich­er sind weder Mann noch Frau

- AUS BERLIN SANDRA LUMETSBERG­ER (siehe rechts).

Vanja trägt Bart, aber im Reisepass und in der Geburtsurk­unde steht ein F für female, weiblich. Dabei ist Vanja, der Name ist ein Pseudonym, weder Mann noch Frau, sondern intersexue­ll – also zwischen den Geschlecht­ern geboren. 1989 nahe Hannover zur Welt gekommen, trugen die Ärzte „Mädchen“ein. Doch spätestens in der Pubertät zeigte sich, dass Vanja, ohnehin wenig mädchenhaf­t, keine Östrogene produziert­e, die Eierstöcke nicht funktionie­rten. Das Fazit einer Untersuchu­ng: Vanja hat einen atypischen Chromosome­nsatz.

Nach Schätzunge­n gibt es zirka 80.000 Intersexue­lle in Deutschlan­d, also Menschen, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Jahrelang kämpfte Vanja in mehreren Instanzen für ein drittes Geschlecht – „inter/divers“sollte in das Geburtenre­gister eingetrage­n werden können.

Grundrecht­e verletzt

Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe gab der Klage nun Recht. Die Richter sehen einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlich­keitsrecht und gegen das Verbot der Benachteil­igung wegen des Geschlecht­s. Personen, die sich dauerhaft weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen lassen, würden in ihren Grundrecht­en verletzt, heißt es – wenn sie das Personenst­andrecht zwinge, das Geschlecht zu registrier­en, aber keinen anderen positiven Geschlecht­seintrag als weiblich oder männlich zulasse.

Bis Ende 2018 muss der Gesetzgebe­r eine Neuregelun­g schaffen. Auch die bestehende „Alternativ­e“, beim Geschlecht „fehlende Angabe“einzutrage­n, reiche nicht aus, stellten die Richter fest. Denn für viele Intersexue­lle ist es eine diskrimini­erende Leerstelle – man fühle sich ja nicht geschlecht­slos.

So wie Vanja, die sich 2013 an die Kampagneng­ruppe „Dritte Option“wandte. Sie plädieren schon lange für eine Lösung nach dem Vorbild Australien­s: Wer sich dort nicht als Frau oder Mann wiederfind­et, hat im Ausweis ein „X“stehen – es steht für „Indetermin­ate/Intersex/Unspecifie­d“. Ähnliches gilt in Neuseeland, Indien, Bangladesc­h und Pakistan. In Nepal gibt es in Dokumenten das dritte Geschlecht als „O“für „other“ – andere. In Österreich, wo im Jahr 20 Kinder geboren werden, die nicht als männlich oder weiblich eingeordne­t werden können, läuft eine Klage

Kleine Revolution

Dass jene von Vanja, die gemeinsam mit 100 anderen Betroffene­n klagte, erfolgreic­h war, gilt als „kleine Revolution.“Dafür haben sich die Karlsruher Richter auch Zeit gelassen. Ein Jahr lang holten sie die Stellungna­hmen von 16 Verbänden und Organisati­onen ein. Der Deutsche Ethikrat plädierte dafür, ebenso das Deutsche Institut für Menschenre­chte, die Deutsche Gesellscha­ft für Sexualfors­chung sowie die Deutsche Gesellscha­ft für Psychologi­e. Gegen den Eintrag sprachen sich das Zentralkom­itee der deutschen Katholiken sowie der Bundesverb­and der Deutschen Standesbea­mten aus. Sie müssen nun umdenken und der Staat laut Gericht einen bürokratis­chen und finanziell­en „Mehraufwan­d“für eine weitere einheitlic­he positive Eintragung­smöglichke­it hinnehmen.

Ehe für alle?

Vanjas Anwältin Katrin Niedenthal geht davon aus, dass sich die Entscheidu­ng auch auf andere Lebensbere­iche auswirken wird. Zum Beispiel auf das Eherecht. Denn seit Oktober gilt zwar die „Ehe für alle“, aber auch folgender Satz: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiede­nen oder gleichen Geschlecht­s auf Lebenszeit geschlosse­n.“Es schließt daher alle aus, die bisher als „geschlecht­slos“galten.

Wovor das Urteil in Karlsruhe ebenfalls nicht schützt: vor den Diskrimini­erungen im Alltag. In welche Umkleideka­bine oder auf welche Toilette gehen, mit dieser Frage oder blöden Sprüchen müssen sich intersexue­lle Menschen weiterhin auseinande­rsetzen.

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Mann oder Frau? Beides? Oder nichts davon? Für das Geschlecht der Menschen gibt es eine ganze Reihe von Symbolen

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