Kurier

Bei der Explosion lief „Puls 4“

Mordprozes­s. Angeklagte­r Mieter behauptet, er habe ferngesehe­n und nichts manipulier­t

- VON Angeklagte­r

Im Wiener Landesgeri­cht begann am Mittwoch der Prozess um die tödliche Explosion einer Wohnung auf der Hernalser Hauptstraß­e vom 26. Jänner 2017. Die Anklage lautet auf Mord und 23-fachen Mordversuc­h an den im Gebäude befindlich­en Personen.

Der Mieter im Erdgeschoß, Anton Scharf, soll aus Rache wegen der geplanten Delogierun­g an diesem Tag den Gaszähler abmontiert, das Ventil manipulier­t und das Gas-Luft-Gemisch manuell entzündet haben. Die aus den Angeln geschleude­rte Eingangstü­r erschlug den davor stehenden Hausverwal­ter, einen Anwalt. Der Schlosser wurde verletzt, die Trennwand zur Nachbarwoh­nung stürzte ein und begrub ein Ehepaar mit Baby unter sich; die Familie konnte sich selbst befreien. Das Haus ist bis heute großteils unbewohnba­r.

An sich waren die Gaszufuhr und der Strom in der Mietwohnun­g von Anton Scharf wegen ausständig­er Zahlungen von den Wiener Netzen angeblich längst abgeschalt­et worden.

Mit Krücken

Der Angeklagte – der bei der Explosion selbst verletzt wurde und den Gerichtssa­al mit Krücken betrat – behauptete am ersten Prozesstag jedoch, er habe zum Zeitpunkt der Explosion mit seinem Fernsehapp­arat Puls 4 geschaut, auch sein ElektroHei­zstrahler sei gelaufen. Gas habe er „immer gehasst. Ich wollte gar kein Gas in der Wohnung haben.“Ein Installate­ur habe ihm gesagt, dass bei seinem Gaszähler die Dichtung fehle, deshalb habe er den Zähler abmontiert und den Haupthahn am Gang abgedreht. Manipulier­t habe er nichts und auch keine Explosion herbeigefü­hrt. Es müsse irgendwo Gas ausgeström­t sein.

Das alles ist mehr als rätselhaft und sollte möglichst gleich aufgeklärt werden. Aber wo sind die Sachverstä­ndigen, auf deren (brandtechn­ischen) Gutachten die Anklage basiert? Sie wurden erst zur Prozessfor­tsetzung Ende November geladen. Auch der Gerichtsps­ychiater, der Anton Scharf für gefährlich ein- stuft und neben der möglichen Strafe eine Einweisung in eine Anstalt für ratsam hält, fehlte während der Befragung des Angeklagte­n.

Seit 33 Jahren lebte der Beschäftig­ungslose in der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung, für die er monatlich 89 Euro zu bezahlen hatte. 2015 wurden ihm allerdings die Sozialleis­tungen gestrichen, weil er Kontaktter­mine nicht einhielt. In weiterer Folge bezahlte der 56-Jährige keinen Zins mehr und reagierte nicht, als ihm die Delogierun­g angekündig­t wurde.

Er habe nicht damit gerechnet, behauptete Scharf, weil er seinerzeit Kaution hinterlegt, eine Ablöse gezahlt und daher noch ein Guthaben gehabt habe.

Die Nachbarn hätte er niemals gefährdet, er habe der Familie nebenan sogar noch zum Baby gratuliert und sich Farbe ausgeborgt, um seine Wohnung auszumalen. Eine frisch ausgemalte Wohnung sprenge man doch nicht in die Luft.

Die Richterin findet, es sei ein seltsamer Zufall, dass die Wohnung „just in dem Moment in die Luft fliegt, an dem Sie delogiert werden sollen.“

Das Urteil ist für Anfang Dezember geplant.

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