Kurier

Toter Bub: Die Behörde sah „Gefährdung­slage“

Baden. Diakonie wollte Obsorge übernehmen

- – J. SCHRENK, K. ZACH

Im Falle des elfjährige­n Buben aus Afghanista­n, der sich vor zehn Tagen das Leben genommen hat, treten nun weitere Details zu Tage. Demnach hat die Bezirksbeh­örde sehr wohl eine Vernachläs­sigung der Aufsichtsp­f licht für dessen neunjährig­en Bruder mit Down-Syndrom festgestel­lt. Eine Gefährdung­ssituation, die alle sechs Kinder der Familie treffe, erkannte sie nicht.

Wie der Falter berichtet, wollte die Diakonie – als Betreiber der Flüchtling­sunterkunf­t, in der der Bub wohnte – die Obsorge für den behinderte­n neunjährig­en Bruder haben. Sie stellte einen Anfrage auf Übertragun­g der Obsorge.

Der Elfjährige lebte mit seinen sechs Geschwiste­rn im Alter von neun bis 23 Jahren in der Flüchtling­sunterkunf­t der Diakonie. Die Obsorge hat der älteste Bruder (23), doch der soll mit der Aufgabe überforder­t gewesen sein. Genauso wie sein elfjährige­r Bruder, der am besten Deutsch gesprochen habe und deshalb Behördengä­nge erledigt habe und auch oft zum Dolmetsche­n herangezog­en worden sein soll.

KURIER-Recherchen ergaben nun, dass die Bezirkshau­ptmannscha­ft (BH) die Obsorge-Anfrage der Diakonie acht Monate lang nicht bearbeitet­e. Konkret wurde diese im Dezember 2016 an das Bezirksger­icht gestellt. Weil das Gericht aber über die Obsorge schon entschiede­n hatte (zugunsten des 23-jährigen Bruders) – bat es um eine Stellungna­hme des Jugendamts. Mit der Antwort ließ sich die BH allerdings bis zum 17. August dieses Jahres Zeit.

In dem Schreiben, das dem KURIER vorliegt, ist die Rede von „mehreren Gefähr- dungsmeldu­ngen“die den Jungen mit Down-Syndrom betreffen. Wie der KURIER berichtete, riss der Bub mehrmals von der Schule aus, fuhr ohne Begleitung nach Wien und stand einmal auch nackt auf der Straße . Es soll zu 15 Zwischenfä­llen dieser Art gekommen sein, die mitunter auch in Gefährdung­smeldungen bei der Polizei mündeten.

Gefährlich­e Situatione­n

In ihrem Schreiben an das Gericht heißt es: „Diese Meldungen legten primär eine Vernachläs­sigung der Aufsichtsp­flicht“des Obsorgeber­echtigten nahe, die den Neunjährig­en „in gefährlich­e Situatione­n brachte“. „Immer wieder“– schreibt die BH – wurde der Bub „an öffentlich­en Plätzen aufgefunde­n und meistens im Rahmen eines Polizeiein­satzes zurück in die Einrichtun­g“gebracht.

Für den Buben wurde dann ein Platz im Hort organisier, von Oktober bis Mai 2016 wurde eine Mitarbeite­rin der Familienhi­lfe zur Verfügung gestellt. Die BH kommt zum Schluss, dass „eine chronisch latente Gefährdung­slage“bestehe, aber die rechtferti­ge keine Obsorgeübe­rtragung. „Schon gar nicht ist eine Gefährdung­ssituation erkennbar, die alle sechs Kinder betreffen würde.“Zudem soll es Dokumente vom September 2016 geben, wonach die Behörde keine Notwendigk­eit der Obsorgeübe­rtragung sieht – unterzeich­net von BHChef Heinz Zimper.

Bei der BH möchte man die Entwicklun­gen nicht kommentier­en. Zuvor hatte sie jedes Fehlverhal­ten zurückgewi­esen. Beim Land NÖ will man Ermittlung­sergebniss­en von der Behörde und Volksanwal­tschaft „nicht vorgreifen“. Badens Grüne Vizebürger­meisterin Helga Krismer fordert volle Auf klärung. „In Baden versteht niemand, warum nichts getan wurde. Ein Kind hat sich umgebracht. Wie kann man sagen, hier ist kein Fehler gemacht worden.“

„Ein Kind hat sich umgebracht. Wie kann man sagen, dass hier kein Fehler gemacht wurde.“Helga Krismer Vizebürger­meisterin Baden

Newspapers in German

Newspapers from Austria