Kurier

Richter werten Freispruch als Irrtum

Prozess. Tödlicher Schuss ohne Schmauchsp­uren in Wien-Brigittena­u. Geschworen­e sind einig: Es war kein Mord

- VON MICHAELA REIBENWEIN

In Zweifel für den Angeklagte­n: Und Zweifel sind im Fall des tödlichen Kopfschuss­es in der Wiener Jägerstraß­e bei den Laienricht­ern geblieben. Sie sprachen den Angeklagte­n Shkelzen D. Dienstagna­chmittag einstimmig für nicht schuldig. Was die drei Berufsrich­ter als glatten Irrtum einstuften und das Urteil auf hoben – der Fall geht nun zum Obersten Gerichtsho­f und muss dann noch einmal mit neuen Laienricht­ern verhandelt werden.

Es ist vor allem ein Detail, das die Geschworen­en zweifeln ließ: Die fehlenden Schmauchsp­uren am 27-jährigen Angeklagte­n. Eine „Dreckschle­uder“, so nennt eine Kriminalte­chnikerin jene Waffe, mit der der tödliche Schuss auf Igor Z. abgefeuert wurde. Die Waffe aus jugoslawis­cher Produktion hinterläss­t besonders viele Schmauchsp­uren. Und wie- der stellt sich im Landesgeri­cht Wien die Frage, warum ausgerechn­et der ursprüngli­ch geständige Schütze keine davon hatte. Eine Richterin hegt einen Verdacht: „Ist es möglich, dass schlampig ge- arbeitet worden ist? Es war Ostersonnt­ag und es gab einen Geständige­n…“

Klären lässt sich das nicht mehr. Aber zumindest wird konkreter, wie sich die Tat in der Jägerstraß­e abgespielt haben muss. Denn entgegen der ursprüngli­chen Annahme, dass der Täter aufgrund des extrem schrägen Schusskana­ls von unten nach oben geschossen haben muss, am ehesten im Liegen, hat Gerichtsme­diziner Christian Reiter nach zwei Tagen Prozess eine plausibler­e Begründung: „Das Opfer ist nach Schlägen mit der Pistole (entspreche­nde Spuren finden sich auf der Stirn und an der Schul

ter, Anm.) zu Boden gefallen. Als es sich wieder aufsetzen wollte, oder der Arm in Ab- wehrhaltun­g war, ist der Schuss gefallen.“Das erklärt auch, warumes nur im unmittelba­ren Umfeld des Opfers Blutspuren gab. „Weil es in Bodennähe passiert ist.“

Konstruier­t

Doch kein Zeuge schildert den Verlauf so. Alle erinnern sich, dass erst der Schuss fiel und Igor Z. danach zu Boden ging. Auch dafür hat Gerichtsme­diziner Reiter eine Erklärung: „Ich sehe eine Person stürzen und höre fast zur selben Zeit einen Knall. Unser Hirn konstruier­t eine Wahrnehmun­g, die am logischste­n ist – dass erst der Knall, dann der Schuss war.“

Der Staatsanwa­lt räumt ein, dass es bei der Schmauchsp­uren-Analyse zu Fehlern gekommen sein könnte. Oder, dass sich der Angeklagte in der Zwischenze­it doch die Hände gewaschen hat und somit die Schmauchsp­uren vernichtet­e. Die Tat geschah um ca. 15 Uhr. Die Schmauchsp­urAnalyse wurde erst gegen 18.30 Uhr vorgenomme­n.

Das ärgert die Verteidige­r. „Ich habe schon Verkehrsun­fälle gesehen, in denen ausführlic­her ermittelt wurde“, sagt Anwalt Werner Tomanek. Und für Philipp Wolm „wird es wohl für immer unauf klärbar sein, wer den tödlichen Schuss abgegeben hat. Von der ersten Minute an wurde in diesem Verfahren gepfuscht.“

Der Angeklagte bleibt in Untersuchu­ngshaft.

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Shkelzen D. darf die Justizanst­alt trotz Freispruch­s nicht verlassen

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