Richter werten Freispruch als Irrtum
Prozess. Tödlicher Schuss ohne Schmauchspuren in Wien-Brigittenau. Geschworene sind einig: Es war kein Mord
In Zweifel für den Angeklagten: Und Zweifel sind im Fall des tödlichen Kopfschusses in der Wiener Jägerstraße bei den Laienrichtern geblieben. Sie sprachen den Angeklagten Shkelzen D. Dienstagnachmittag einstimmig für nicht schuldig. Was die drei Berufsrichter als glatten Irrtum einstuften und das Urteil auf hoben – der Fall geht nun zum Obersten Gerichtshof und muss dann noch einmal mit neuen Laienrichtern verhandelt werden.
Es ist vor allem ein Detail, das die Geschworenen zweifeln ließ: Die fehlenden Schmauchspuren am 27-jährigen Angeklagten. Eine „Dreckschleuder“, so nennt eine Kriminaltechnikerin jene Waffe, mit der der tödliche Schuss auf Igor Z. abgefeuert wurde. Die Waffe aus jugoslawischer Produktion hinterlässt besonders viele Schmauchspuren. Und wie- der stellt sich im Landesgericht Wien die Frage, warum ausgerechnet der ursprünglich geständige Schütze keine davon hatte. Eine Richterin hegt einen Verdacht: „Ist es möglich, dass schlampig ge- arbeitet worden ist? Es war Ostersonntag und es gab einen Geständigen…“
Klären lässt sich das nicht mehr. Aber zumindest wird konkreter, wie sich die Tat in der Jägerstraße abgespielt haben muss. Denn entgegen der ursprünglichen Annahme, dass der Täter aufgrund des extrem schrägen Schusskanals von unten nach oben geschossen haben muss, am ehesten im Liegen, hat Gerichtsmediziner Christian Reiter nach zwei Tagen Prozess eine plausiblere Begründung: „Das Opfer ist nach Schlägen mit der Pistole (entsprechende Spuren finden sich auf der Stirn und an der Schul
ter, Anm.) zu Boden gefallen. Als es sich wieder aufsetzen wollte, oder der Arm in Ab- wehrhaltung war, ist der Schuss gefallen.“Das erklärt auch, warumes nur im unmittelbaren Umfeld des Opfers Blutspuren gab. „Weil es in Bodennähe passiert ist.“
Konstruiert
Doch kein Zeuge schildert den Verlauf so. Alle erinnern sich, dass erst der Schuss fiel und Igor Z. danach zu Boden ging. Auch dafür hat Gerichtsmediziner Reiter eine Erklärung: „Ich sehe eine Person stürzen und höre fast zur selben Zeit einen Knall. Unser Hirn konstruiert eine Wahrnehmung, die am logischsten ist – dass erst der Knall, dann der Schuss war.“
Der Staatsanwalt räumt ein, dass es bei der Schmauchspuren-Analyse zu Fehlern gekommen sein könnte. Oder, dass sich der Angeklagte in der Zwischenzeit doch die Hände gewaschen hat und somit die Schmauchspuren vernichtete. Die Tat geschah um ca. 15 Uhr. Die SchmauchspurAnalyse wurde erst gegen 18.30 Uhr vorgenommen.
Das ärgert die Verteidiger. „Ich habe schon Verkehrsunfälle gesehen, in denen ausführlicher ermittelt wurde“, sagt Anwalt Werner Tomanek. Und für Philipp Wolm „wird es wohl für immer unauf klärbar sein, wer den tödlichen Schuss abgegeben hat. Von der ersten Minute an wurde in diesem Verfahren gepfuscht.“
Der Angeklagte bleibt in Untersuchungshaft.